Unter dem Titel »Stieftöchter der NS-Aufarbeitung« wurden am 21. Juni 2018 im Ort der Information des Denkmals für die ermordeten Juden Europas neue Forschungsperspektiven zur Verfolgung von Lesben 1933–1945 vorgestellt. Sie wird von manchen Historikern bis heute bestritten, vor allem wird sie als Thema in der Öffentlichkeit ausgeblendet. Anlässlich des zehnten Jahrestags der Einweihung des Denkmals für die verfolgten Homosexuellen fasste die Historikerin Anna Hájková neuere Forschungen zusammen und erläuterte, wie prekär das Leben lesbischer Frauen im Dritten Reich war. Lesben wurden doppelt ausgegrenzt: als Frauen und als Homosexuelle. Homophobe Denunziationen spielten im Repressionsgeschehen eine besondere Rolle.
Hájková schilderte jedoch nicht nur schlaglichtartig einzelne Verfolgungssituationen; sie hob vor allem auf die Frage ab, warum es noch immer so viele »weißen Flecken« in der Geschichte der Lesbenverfolgung gibt. Die tschechische Holocausthistorikerin, die in England lehrt, kritisierte die Defizite in der Wissenschaftspolitik und in der Wissensproduktion. Lesbengeschichte liege noch immer außerhalb der akademischen Hauptinteressen, was auch mit jenem zu tun habe, die die »großen Themen« bestimmten, eben nicht Frauen beziehungsweise lesbische Frauen. Daran geknüpft sei auch die Ausrichtung des Wissenschaftsmarktes. So fehle es für die deutsche Leserschaft an Übersetzungen der wenigen, aber weiterführenden fremdsprachigen Texte von Autorinnen wie Laurie Marhoefer oder Camille Fauroux. Überhaupt fände ausländische Gender/Frauenforschung, wie zum Beispiel zum Ersten Weltkrieg, weniger Eingang in die deutsche Verlagsprogramme. Ohne Übersetzung jedoch würden die Forschungsergebnisse nicht rezipiert, ganz zu schweigen von breiter angelegter Forschungsförderung zu lesbischen Themen.
Ulrike Janz zeigte auf, wie sich die Verfolgung von Lesben in der Häftlingsgesellschaft der Konzentrationslager fortsetzte. Dabei sprechen Überlebende, gerade aus der Gruppe der aus politischen Gründen internierten Frauen, durchaus über die Frauenliebe im Lager. In ihren Erinnerungsberichten nehmen diese Zeitzeuginnen jedoch eine strenge, homophobe Trennung vor: Die Sphäre von Zuneigung und Solidarität sehen sie bei den (vermeintlich) weiblichen heterosexuellen politischen Mithäftlingen, die Sexualität verorten sie hingegen bei Frauen beispielsweise aus der verachteten Häftlingsgruppe der »Asozialen«.
Wie kann vor diesem Hintergrund das Gedenken an die verfolgten und inhaftierten lesbischen Frauen überhaupt vorankommen? Bei der anschließenden, von Dr. Birgit Bosold geleiteten Diskussion, zu der Dr. Matthias Heyl, pädagogischer Leiter der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Ravensbrück und der Pädagogischen Dienste der dortigen Gedenkstätte, hinzugebeten wurde, ging es vor allem um das Beispiel Ravensbrück. Als Konzentrationslager für Frauen spielt der Ort im deutschen und europäischen Erinnerungsdiskurs zur Verfolgung von Frauen und Lesben eine zentrale Rolle. Heyl stellte kurz den Konflikt um die bisher nicht durchsetzbare Gedenkinstallation für lesbische Frauen, eine beschriftete Kugel, dar. Eine in den Gremien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, dem internationalen Beirat und der wissenschaftlichen Fachkommission diskutierte Formulierung, die den Eindruck vermeiden sollte, dass die Verfolgung lesbischer Frauen in gleicher Weise »systematische« Züge gehabt habe wie die schwuler Männer, lautete »Den lesbischen Frauen aller Haftgruppen im Konzentrationslager Ravensbrück«. Rasch drang, auch durch Beteiligung des Publikums, die Diskussion zur Frage durch, warum im Fall der lesbischen inhaftierten Frauen der Widerstand gegen ein sichtbares Gedenkzeichen zum einen so vehement, zum anderen so zäh und unnachgiebig sei. In diesem Zusammenhang wurde auch die Besetzung von Beiratsgremien und der Legimitierung der entsandten Vertreter zum Thema, nicht nur für den schwullesbischen Bereich, sondern auch hinsichtlich anderer Gruppen.
Weitere Vertiefung dürfte bei zukünftigen Diskussionen die Frage erfordern, wie es überhaupt um die Zusammenhänge von historischen Fakten und Gedenken bestellt ist. Erinnerung bezieht sich immer auf historisches Wissen, aber sie wird auch von anderen Kräften getrieben. So wies Matthias Hey darauf hin, dass – als Beispiel für die nationalen Widmungen – die schon vorhandene Tafel für in Ravensbrück inhaftierte Französinnen formal auch den »Französinnen aller Haftgruppen« gewidmet sein müsste, »da es keine systematische Verfolgung der Französinnen gab. Die Mehrzahl der französischen Häftlinge wurden wegen ihrer Beteiligung an verschiedenen politischen Widerstandsgruppen interniert und nach Ravensbrück deportiert.« Auch dieses Gedenkzeichen ist Ausdruck eines Bedürfnisses nach einem kollektiven Erinnerungsort für Frauen dieser Herkunft . Auch für die in das Lager deportierten Kinder, die nicht aufgrund ihres Kindseins, sondern in Begleitung ihrer Mütter dort interniert wurden, gebe es ein Gedenkzeichen. Im Gegensatz zur Gedenkkugel für die lesbischen Frauen habe es um beide Tafeln keine Konflikte gegeben.
Für die Stiftung Denkmal stellt der Abend – erstmals eine gemeinsame Veranstaltung mit dem Schwulen Museum – einen gewinnbringenden »Baustein« im Rahmen der Feierlichkeiten zum zehnjährigen Jubiläum des Denkmals für die verfolgten Homosexuellen dar.