Am 15. Juni 2018 wurde in der Synagoge zum Weißen Storch in Breslau eine bemerkenswerte Ausstellung eröffnet, zu deren Entstehen die Stiftung Denkmal während der etwa zweijährigen Vorbereitungszeit beitragen konnte. »Im Fluss der Zeit – Jüdisches Leben an der Oder« nimmt sich eines bisher kaum beachteten Themas an, der jüdischen Geschichte der heutigen deutsch-polnischen Grenzregion.
Noch immer trennt die Oder Deutsche und Polen mehr, als dass sie sie verbindet. Heutigen Deutschen, sofern sie nicht Heimatvertriebene sind, ist Geschichte und Kultur jenseits der Oder wenig bekannt. Die polnische Bevölkerung, 1945 selbst aus dem Osten dorthin umgesiedelt, engagiert sich zunehmend auch für die Bewahrung des deutschen Kulturerbes. Die neue Ausstellung zeigt auf, dass dazu auch ein lebendiges jüdisches Leben gehörte. Welchen Stellenwert das Thema in Breslau besitzt, zeigt sich auch in dem Grußwort des stellvertretenden Stadtpräsidenten Adam Grehl.
Die beiden Kuratorinnen Dr. Magdalena Gebala und Dr. Magdalena Abraham-Diefenbach schilderten den zahlreichen Anwesenden lebendig, und bewusst vom Polnischen ins Deutsche und wieder zurück ins Polnische wechselnd, ihren Zugang zum Thema. Ihr Wunsch, die jüdische Geschichte an der Oder mit einer Ausstellung wiederzubeleben, orientierte sich an der Gegenwart der heutigen Grenzregion. Geschichtlich gesehen definierte der Fluss jedoch keineswegs eine einzige historische Landschaft, und erst recht keine gleichen Lebensverhältnisse. So hatte der Alltag einer jüdischen Familie in einer der vielen Kleinstädte östlich von Frankfurt (Oder) wenig mit dem in der schlesischen Metropole Breslau zu tun. Die Herausforderung bestand darin, dennoch zu einer verbindenden Ausstellungserzählung zu finden, was den Kuratorinnen gelungen ist. Gemeinsam war den Juden an der Oder ab 1933 das Verfolgungsschicksal im Nationalsozialismus. Hier erinnert die Ausstellung auch an die Ausweisung polnischer Juden im Oktober 1938, an die frühe Deportation der Stettiner Juden ins besetzte Polen 1940 und an die folgenden Jahre des Holocaust.
Der Ort der Eröffnung, die 2010 wiedereröffnete Synagoge zum Weißen Storch, ist ein Zeugnis des Wiederbeginns jüdischen Lebens nach 1945. Noch immer ist wenig bekannt, dass zehntausende polnisch-jüdische Holocaustüberlebende in Niederschlesien, aber auch in Stettin, eine neue Heimat fanden, bis sie ihrerseits im Rahmen der kommunistischen antizionistischen Propagandawellen aus dem Land gejagt wurden.
Es ist vor allem Jerzy Kichler von der jüdischen Gemeinde Breslau und der norwegischen jüdischen Musikerin Bente Kahan und der von ihr gegründeten Stiftung zu verdanken, dass das Synagogengebäude vor dem Verfall gerettet werden konnte, und ebenso, dass die Ausstellung nun auf seiner oberen Empore gezeigt werden kann.
Am 5. September 2018 wird die deutsche Eröffnung der Schau im Berliner Roten Rathaus stattfinden.