Ohne die nationalsozialistische Diktatur wäre Jerry Lindenstraus wahrscheinlich in seiner ostpreußischen Heimat Gumbinnen geblieben und hätte einmal das elterliche Kaufhaus übernommen. Mit der erzwungenen Emigration begann eine Reise, die ihn über Schanghai und Bogotá bis nach New York führte.
1929 als Gerd Lindenstraus in eine Kaufmannsfamilie geboren, erlebte er schon als Kind die Auswirkungen nationalsozialistischer Verfolgung. Die Familie verlor früh ihr Geschäft und ihren Besitz, nach der Scheidung der Eltern wanderte die Mutter aus Furcht vor weiteren antijüdischen Maßnahmen nach Kolumbien aus. Jerry Lindenstraus folgte seinem Vater nach Königsberg, wo er 1938 auch die Pogromnacht erlebte. Nur wenige Wochen vor Beginn des Zweiten Weltkrieges gelang es der Familie, mit dem Schiff Schanghai zu erreichen. Zusammen mit der Stiefmutter und seinem Vater, der schon bald an einer Krankheit starb, lebte er in ärmlichen Verhältnissen im Viertel Hongkew. Die japanischen Besatzer erklärten den völlig überfüllten Stadtteil, der Tausenden Juden zur Zuflucht geworden war, 1943 zum Ghetto. Jerry Lindenstraus erkrankte aufgrund der katastrophalen hygienischen Zustände an Malaria und Gelbsucht. Nach dem Krieg entschloss er sich, zu seiner leiblichen Mutter nach Bogotá zu ziehen. Sein weiterer Lebensweg führte ihn schließlich 1953 nach New York, wo er heiratete und eine erfolgreiche Exportfirma gründete. Zum Zeitpunkt des Interviews war Jerry Lindenstraus 84 Jahre alt.
Jerry Gerd Lindenstraus (01182/sdje/0073). Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin (10. Dezember 2013). Durchführung: Daniel Baranowski, Martin Hölzl und Daniel Hübner. Transkription: Ruth Preusse. Bearbeitung: Martin Hölzl.