Die Jahrestagung der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, die vom 24. bis 26. Mai 2013 in Berlin-Moabit stattfand, stand unter dem Motto »Erzähle weiter!« In einem der Workshops ging es um die Durchführung von lebensgeschichtlichen Interviews, die Bedeutsamkeit des Verhältnisses der Interviewpartner zueinander, den Umgang mit belastenden Interviewsituationen und die Frage nach der Auswertung der Videozeugnisse. Geplant war, in den Mittelpunkt des Podiums ein Gespräch zwischen Ruth Michel und mir zu stellen. Die Ende der 1920er Jahre in Königsberg geborene Ruth Michel hatte der Stiftung Denkmal im Herbst 2010 ein ausführliches Interview über die Zeit ihrer Verfolgung gegeben und ich war damals einer der Interviewer.
Bemerkenswert und für die Tagung besonders geeignet erschien die Beschäftigung mit diesem Interview vor allem aus zwei Gründen: Im Sommer 2010 hatte Frau Michel bei einem privaten Besuch in Berlin auch die Ausstellung des Holocaust-Denkmals besucht. Sie hinterließ dort eine Notiz, in der sie bedauerte, dass der Ort Mikuliczyn, »in dem ich die Ermordung aller Juden, darunter meines Vaters, Aron Rosenstock« miterleben musste, in der Ausstellung keine Erwähnung findet. Diese Notiz war für mich Anlass, Kontakt zu Frau Michel aufzunehmen, und wenige Wochen später entstand das mehr als vierstündige Gespräch, durch das die Geschichte der Juden von Mikuliczyn nunmehr im Ort der Information Erwähnung findet. Ebenso bereitete das Team des Raums der Namen Hörbiographien der von Frau Michel im Interview genannten ermordeten jüdischen Bewohner vor. Für Ruth Michel selbst war das Interview der Auslöser, um sich erstmals seit über siebzig Jahren in die Ukraine zu begeben, den Ort der Ermordung ihres Vaters aufzusuchen und sich um die Neugestaltung der dortigen Gedenkstätte zu kümmern.
Über all das wollten wir auf dem Podium diskutieren. Aufgrund einer plötzlichen Erkrankung von Frau Michel sahen wir uns jedoch mit einer Situation konfrontiert, die uns zum Thema der Tagung – »Erzähle weiter!« – letztlich ebenfalls zu passen schien: Mit Hilfe des eingespielten Interviews konnten wir einige bedeutende Sequenzen kommentieren und die Bedeutung, die das Zeugnis für Ruth Michel hat, erläutern. Nach einer Einführung in die Arbeitsweise des Videoarchivs durch Lennart Bohne unterhielt ich mich mit Constanze Jaiser, Projektleiterin der Jugendwebseite »Du bist anders« über den Prozess des Interviewführens. Unter Beteiligung des Publikums konnten wir so einen Einblick in die Dynamik zwischen Interviewten und Interviewern geben und im Wortsinne die Geschichte von Ruth Michel »weiter erzählen«.
Daniel Baranowski