Auf der Place de la Bastille treffe ich mich mit einem deutschen Wissenschaftler, Dr. Jonas Knetsch. Wir kennen uns bisher nur über E-Mails und Telefongespräche. Der junge Jurist hat bei seiner ehrenamtlichen Beratungsarbeit für das Deutsche Sozialwerk in Frankreich Überlebende des Holocaust kennengelernt. Mit Moniek Baumzecer und seiner Frau ist er nun schon seit längerem bekannt, und er hat begonnen, die Lebenserinnerungen des mittlerweile 92–jährigen Zeitzeugen ins Deutsche zu übersetzen.
Einige Zeit später betreten Jonas Knetsch und ich das Café »Les Grandes Marches« direkt neben der Opéra Bastille. Dort warten Moniek und Hanka Baumzecer sowie ihre Tochter Jeanette auf uns. Mit großer Herzlichkeit werden wir empfangen, auch ich, der noch unbekannte Gast aus Berlin. Moniek Baumzecer wirkt vital und man ahnt, dass er in seinem Leben viel Sport getrieben hat. 1938 wurde er polnischer Juniorsieger im Bantamgewicht, und seine körperliche Stärke half ihm später, die Qualen der Konzentrationslager zu überstehen.
Rasch sind wir mitten im Gespräch über seine Erfahrungen. Herr Baumzecer erzählt, wie er, als polnischer Jude im Lager Christianstadt in der brandenburgischen Neumark eine nichtjüdische Küchenmitarbeiterin kennenlernte, Hedwig, und einige Zeit später wegen des Vorwurfs der »Rassenschande« zur Gestapo nach Frankfurt an die Oder gebracht wurde. Dort schlugen ihn die Beamten so sehr, dass er davon bis heute eine Auswölbung am Kopf davongetragen hat. Die Auswirkungen dieser Gewalt werden für mich buchstäblich spürbar, denn nach Aufforderung von Herrn Baumzecer ertaste ich sie mit meinen Fingern. Moniek (heute Maurice) Baumzecer wurde von Frankfurt nach Mauthausen und später nach Auschwitz deportiert. Im Januar 1945 brachte ihn die SS erneut nach Mauthausen. Ein Blockältester, der ihn erkannte, sagte zu ihm: »Wenn Du es bis hier her geschafft hast, wirst Du überleben. Mach Dir keine Sorgen!«.
Im Frühjahr 2013 plane ich, Herrn Baumzecer wiederzusehen und seine erhaltenen Photographien für eine deutsche Publikation seiner Lebenserinnerung einzuscannen. Die Herausgabe seiner Memoiren in der Übersetzung von Jonas Knetsch und ergänzt durch weitere Forschungen in deutschen und polnischen Archiven ist für den Herbst 2013 geplant.
Dr. Ulrich Baumann, Stellvertretender Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas