Mit dem Einmarsch der Wehrmacht in Kaunas im Juni 1941 endete die durch Weltoffenheit und eine vielsprachige Familie geprägte Kindheit des dreizehnjährigen Solly Ganor. Von einem Tag auf den anderen befand er sich auf der Flucht und wurde mit brutaler Gewalt und der Teilnahmslosigkeit der Umwelt konfrontiert.
Geprägt durch die politische Einstellung des Vaters wuchs Solly Ganor als jüngstes von drei Kindern im vorwiegend deutschsprachigen Heydekrug in Litauen auf, bevor die mittelständische Familie nach Kaunas umzog. Trotz der familiären Bemühungen, Brücken zu bauen, gab es eine deutliche Kluft zwischen den katholisch geprägten Litauern und der jüdischen Bevölkerung. Als die Flucht der Familie nach Kriegsausbruch scheiterte, lebten sie im Ghetto Kaunas. Solly Ganor leistete auf seine Art als Kind Widerstand und errichtete unter Lebensgefahr eine geheime Bibliothek. Nach der Auflösung des Ghettos Kaunas folgte die Deportation in das Konzentrationslager Stutthof und schließlich in eines der Außenlager des Konzentrationslagers Dachau. Solly Ganor leistete Zwangsarbeit, bis er im April 1945 auf einen Todesmarsch getrieben wurde. Nach der Befreiung durch die amerikanische Armee arbeitete er als Übersetzer für die Alliierten und wanderte 1948 nach Israel aus. Er wurde Matrose und Kapitän bei der Handelsmarine. Zum Zeitpunkt des Interviews war Solly Ganor 84 Jahre alt.
Solly Ganor (01147/sdje/0043), 28. März 2012 (Berlin). Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Durchführung: Teresa Schäfer, Daniel Baranowski und Daniel Hübner. Bearbeitung: Teresa Schäfer.