Die Entfremdung von seiner Familie war eine Kriegsfolge, die der 1923 im ostpreußischen Matheningken geborene Sinto Reinhard F. nie verwinden konnte. Durch seinen unbedingten Überlebenswillen gelang es ihm, die Zwangsarbeit in den Konzentrationslagern Mauthausen, Gusen und Monowitz zu überleben.
Für die Familie F. begann die Ausgrenzung mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten und mündete 1935 zunächst in die Enteignung des Pferdegewerbes des Vaters. Reinhard F. wurde ab 1937 zum Arbeitsdienst verpflichtet. Fortan war er von seiner Familie getrennt. Nachdem er einem Aufruf zur Erfassung fernblieb, wurde er im Februar 1941 von der Gestapo verhaftet. Mit einem Sammeltransport erreichte er im November das Konzentrationslager Mauthausen. Das System der Gewalt, dass die SS in den Lagern errichtet hatte, die unmenschliche Zwangsarbeit in den Granitwerken von Mauthausen und Gusen sowie die schlechte Versorgung zwangen ihn dazu, immer wieder neue Überlebensstrategien zu entwickeln. Dies gelang ihm mit viel Einfallsreichtum auch in Auschwitz-Monowitz, wo er ab Juni 1943 Zwangsarbeit als Kabelleger leisten musste. Im Januar 1945 führte ihn die SS auf einen Todesmarsch nach Melk und Ebensee. Völlig entkräftet und an Tuberkulose erkrankt wurde er am 6. Mai befreit. Mit seinem Vater und seinem Bruder, die die Verfolgung ebenfalls überlebt hatten, sprach er nie über seine Erfahrungen. Zum Zeitpunkt des Interviews war er 88 Jahre alt.
Reinhard F. (01140/sdje/0036), 20. Oktober 2011 (Aschaffenburg). Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Durchführung: Daniel Baranowski, Jana Mechelhoff-Herezi und Lennart Bohne. Bearbeitung: Lennart Bohne.