Selbst unter Historikern können nur die wenigsten die Ortsnamen Piasnitz, Spengawsken und Schwetz (polnisch jeweils: Piaśnica, Spęgawsk und Świecie) zuordnen. Dabei stehen diese Orte für die ersten großen Massenverbrechen des Zweiten Weltkrieges, ja, für den »Auftakt zum Vernichtungskrieg« (Jochen Böhler). Truppen der Wehrmacht, der SS und aus ortsansässigen Deutschen gebildete paramilitärische Einheiten (»Selbstschutz«) ermordeten in den Monaten nach dem Angriff auf Polen Zehntausende im ehemaligen »Korridor«, dem Landstreifen also, der nach dem Versailler Vertrag das Deutsche Reich von seiner Provinz Ostpreußen getrennt hatte. Opfer der planmäßigen Massaker waren vor allem Angehörige der polnischen Oberschicht, aber auch Kaschuben, Juden und – in der Öffentlichkeit kaum bekannt – tausende Patienten psychiatrischer Anstalten.
An den Tatorten entstanden Gedenkorte, diese liegen in entlegenen Wäldern. Zumeist kümmern sich lokale Einrichtungen wie Schulen, Kirchen und Pfadfinderverbände um die Pflege der Massengräber. Über die Grenzen der Region hinaus sind diese Orte selbst in Polen kaum bekannt, was ja auch daran liegen mag, dass Polen im Krieg besonders viel gelitten hat und das Land von Massengräbern geradezu übersät ist. Doch es gibt auch andere Gründe: So blieben beispielsweise die Massengräber im Wald von Piasnitz zur Zeit der kommunistischen Diktatur ungepflegt, weil die Opfer – Angehörige der polnischen Eliten und Kaschuben – nicht in das offizielle Bild der Parteiideologen passten.
Auch in Deutschland gibt es kaum einschlägige Literatur zu den Massenmorden im Korridor, die Opfer scheinen vergessen. Es ist zwar bekannt, dass im Zuge der »Intelligenzaktion« der polnische Staat durch den Mord an seinen Eliten ausgelöscht werden sollte, doch die Ereignisse vom Herbst 1939 werden hierzulande überschattet durch die Dimensionen des 1941 begonnenen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion und den Völkermord an den Juden. Noch weniger zu erfahren gibt es über die »Euthanasie«-Morde in dieser Region, die uns räumlich doch so nah ist.
Bei der Recherche für das Gedenkstättenportal waren wir also vor allem auf Kontakte zu Menschen vor Ort angewiesen, nur: Wo anfangen? Meistens öffnet die Suche nach Bildern viele Türen. Oft zeigen sich insbesondere Einzelpersonen hilfsbereit, wenn man sie auf Bilder anspricht, die sie im Internet präsentieren. Zumeist stehen sie auch im engen Kontakt zu Organisationen, die sowohl über die Geschichte des Ortes als auch über die Entstehungsgeschichte der Gedenkorte wertvolle Informationen liefern können. So halfen uns bei der Recherche Mitarbeiter einer psychiatrischen Klinik, katholische Priester oder ein polnischer Historiker, der sich als einer der wenigen seiner Zunft mit den »Euthanasie«-Morde auf dem heutigen Gebiet Polens beschäftigt.
Auf diese Weise wird das Gedenkstättenportal Schritt für Schritt erweitert und der Fokus immer wieder auf andere, weniger bekannte Orte des nationalsozialistischen Terrors gelenkt.