Zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, am 22. Juni 2021, sprach Sabine Adler (Deutschlandfunk) mit der Überlebenden Pnina Katsir und der Fotografin Helena Schätzle darüber, was heute von dem Krieg bleibt, in Deutschland, in Israel und in den Menschen.
In der Reihe SEQUENZEN wird sich mit der Gegenwart von Vergangenheit und ihren langfristigen Folgen auseinandergesetzt. Die Veranstaltung wurde unterstützt von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und gefördert von der Stiftung EVZ.
Vor 80 Jahren, am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. Ein Krieg brach aus, den die Nationalsozialisten als »Weltanschauungskrieg« bezeichneten, und der zu einem brutalen Vernichtungskrieg Deutschlands im heutigen Mittelost- und Osteuropa wurde.
Der Vernichtungswille richtete sich gegen Kriegsgefangene, gegen kommunistische Funktionäre, gegen die Zivilbevölkerung und erfasst insbesondere die in der Sowjetunion lebenden Jüdinnen und Juden. Insgesamt 25 Millionen Bürger/-innen der Sowjetunion wurden ermordet. Während der deutschen Besatzung wurden zwischen 1941 und 1944 über eine Million jüdische Kinder, Frauen und Männer bei Massenerschießungen durch deutsche Soldaten, Polizisten und verbündete lokale Akteure ermordet und verscharrt.
Während etwa einem Drittel der sowjetischen Jüdinnen und Juden die Evakuierung oder Flucht in den weiter östlich gelegenen Teil der Sowjetunion gelang, war die Chance auf Überleben in den Gebieten, die erst 1939/1940 von der Sowjetunion annektiert worden waren, sehr gering.
So erlebte es auch Pnina Katsir, die im Alter von 10 Jahren mir ihrer Familie aus dem rumänischen Siret in die von der Sowjetunion besetzte Hauptstadt der Bukowina floh. Nach der Rückeroberung des Gebiets durch rumänisch-faschistische Truppen erlebte sie erneut Pogrome, wurde aus dem Ghetto nach Minks deportiert und anschließend in das Ghetto Dzhurin in der heutigen Ukraine gesperrt. Dort, so sagt sie »tötete man uns nicht, man ließ uns nur sterben«.
2015 lernte Pnina Katsir die Fotografin Helena Schätzle bei AMCHA in Israel kennen. Helena Schätzle fotografierte Überlebende der Shoa und ihre Familien in den Zentren, wo sie psychosoziale Unterstützung suchten und bekamen. Wenige Jahre zuvor hatte die Fotografin in ihrem Projekt »9645 Kilometer Erinnerung« den Weg ihres Großvaters durch die ehemalige Sowjetunion dokumentiert – er war Wehrmachtssoldat, durch seine Tagebücher hatte sie nur eine verzerrte Wahrnehmung der Realität des deutschen Vernichtungskrieges gesehen. Sie stellte diesen Aufzeichnungen Porträts von Menschen und Orten entgegen, die Zeugen des deutschen Vernichtungswillens wurden.