Veranstaltungsbericht der Stabstelle »Deutsch-Polnisches Haus. Gedenken-Begegnen-Verstehen«, www.deutschpolnischeshaus.de
Aus Anlass des 81. Jahrestages des Aufstands im Warschauer Ghetto organisierte das Deutsch-Polnische Haus am 23. April 2024 die Vorstellung der Anthologie »Kwestia Charakteru. Bojowniczki z Getta Warszawskiego [dt. Eine Frage des Charakters. Die Kämpferinnen aus dem Warschauer Ghetto]« mit anschließender Diskussion.
Drei der Autorinnen – Zuzanna Hertzberg, Natalia Judzińska und Patrycja Dołowy – nahmen an der Buchvorstellung teil. Agnieszka Wierzcholska von der Stabsstelle des Deutsch-Polnischen Hauses moderierte das Gespräch.
Die vorgestellte Anthologie vereint Geschichten von Frauen, die im Warschauer Ghetto kämpften. Die Autorinnen rekonstruieren diese Geschichten aus Fragmenten, die in Archiven und Erzählungen erhalten blieben und berichten von Erfahrungen im Zuge ihrer Recherche.
Die Besonderheiten des Ansatzes, der im Band verfolgt wird, stellt Zuzanna Herzberg heraus:
»Männer haben die Tendenz, oft nur über sich selbst zu schreiben, öfter jedenfalls als über Personen in ihrer Umgebung. Wir als Frauen sind so sozialisiert, dass wir an alle in unserer Umgebung denken – hier möchte ich außen vorlassen, wie wir heute aus einer feministischen Perspektive dazu stehen – aber weil wir so sozialisiert sind, lesen wir die Zeugnisse anderer Frauen und diese Frauen schreiben in ihren Zeugnissen über alle Frauen um sie herum. Wenn Hajka Grossman über Towa Altman erzählt, dann berichtet sie, was sie von ihr gelernt hat: Dass sie keine gute Kämpferin sein kann, wenn sie nicht den Geschmack von Zucker, die Begegnungen mit Bekannten und den ganzen Aspekt des Daseins in einer Gemeinschaft wertschätzen könne.«
Am 81. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto sind der Widerstand und das Schicksal der weiblichen jüdischen Kämpferinnen noch immer ein blinder Fleck in der deutschen Erinnerungskultur. In Polen erschien letztes Jahr unter Mitarbeit des Museums der Geschichte der Polnischen Juden POLIN die Anthologie »Kwestia Charakteru. Bojowniczki z Getta Warszawskiego (dt. Eine Frage des Charakters. Die Kämpferinnen aus dem Warschauer Ghetto)«. Darin werden erstmals die vielen am Aufstand beteiligten Frauen und die über sie in Archiven, Zeitzeugenberichten und Publikationen verteilten Informationen zu einem größeren Bild zusammengefügt.
An Lesung und Gespräch nehmen als Co-Autorinnen teil:
Zuzanna Hertzberg ist Künstlerin, Aktivistin und Wissenschaftlerin. Sie legt in ihrer Arbeit unter anderem die weiblichen Geschichten des jüdischen Aktivismus seit dem frühen 20. Jahrhundert frei. Hertzbergs gründliche Recherchen werden von ihrer eigenen polnisch-jüdischen Identität grundiert, von ihrem intersektionalen anarchofeministischen Engagement, ihrem Interesse an Performance, Artivismus, übersehenen Narrativen und Minderheitenperspektiven und von ihrer Beschäftigung mit den Problemen und blinden Flecken kollektiver Erinnerung. 2022 stellte sie bei der Berlin Biennale für Zeitgenössische Kunst aus.
Natalia Judzińska ist promovierte Kulturwissenschaftlerin und Aktivistin. Sie arbeitet am Institut für Slawistik der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Ihre Forschungsschwerpunkte sind der Antisemitismus der Zwischenkriegszeit, die Shoah sowie die aktuelle humanitäre Krise an der Polnisch-Belarussischen Grenze.
Patrycja Dołowy ist Schriftstellerin, Multimedia-Künstlerin, Fotografin, Aktivistin und promovierte Naturwissenschaftlerin. Im Zentrum ihrer Arbeit stehen aktuell Fragen nach Identität und Erinnerung. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht und über 60 Ausstellungen in Polen und im Ausland gestaltet. Neben mehreren weiteren Stipendien und Ehrungen erhielt sie 2022 die Ehrenmedaille »Aufstand im Warschauer Ghetto« für ihren Einsatz für den polnisch-jüdischen Dialog, die Erinnerung an Geschichte und Kultur der polnischen Juden, gegen Antisemitismus, Homophobie und Nationalismus.
Link zum Buch: https://czarne.com.pl/katalog/ksiazki/kwestia-charakteru