Am 31. Juli und 1. August 2024 weilte der Bundespräsident in Polen, um an den Gedenkfeierlichkeiten anlässlich des 80. Jahrestages des Warschauer Aufstandes teilzunehmen. Er unterbrach für seine achte Reise in das Nachbarland als Staatsoberhaupt seinen Urlaub. Nach Roman Herzog 1994 ist Frank-Walter Steinmeier der zweite Bundespräsident, der dieses für Polen und Europa herausragende historische Ereignis mutigsten Widerstandes gegen die deutsche Besatzungsherrschaft würdigte!
Als Auftakt traf sich Steinmeier mit vier Zeitzeugen, die am damaligen Kampf gegen deutschen Terror als jugendliche Pfadfinder teilnahmen, auf dem Gelände des Friedhofs der Warschauer Aufständischen (Cmentarz Powstańców Warszawy), mit etwa 100.000 Toten auf 1,5 Hektar der größte Kriegsfriedhof Polens. Für ihn setzt sich die 97-jährige Überlebende Wanda Traczyk-Stawska seit vielen Jahren ein. Dieses Treffen sei eine große Ehre, besonders weil es hier, »wo so viele Herzen begraben liegen«, stattfindet, sagte sie zum Bundespräsidenten. Steinmeier erwiderte: »In Wahrheit ist es so, dass Sie Mut gegen die deutsche Besatzungsherrschaft brauchten, und ich stelle mir vor, dass Sie diese auch 1945 für eine Wiederannäherung mit Deutschland brauchten.«
Am Abend sprachen der Präsident der Republik Polen und der Bundespräsident bei der dreieinhalbstündigen Zeremonie am zentralen und erst 1989 eingeweihten Denkmal des Warschauer Aufstandes (Pomnik Powstania Warszawskiego) auf dem Krasiński-Platz vor dem Gebäude des Obersten Gerichts. Steinmeier betonte: »Ich bin tief bewegt davon, dass ich heute hier bei Ihnen sein kann, und darüber, dass Sie mich gebeten haben, als Präsident der Bundesrepublik Deutschland zu Ihnen zu sprechen. Ich weiß: Das ist alles andere als selbstverständlich. Und ich versichere Ihnen: Mir ist es eine große Ehre. Der Warschauer Aufstand gehört zu den grausamsten Kapiteln in der langen Geschichte, die unsere beiden Völker, die Polen und Deutsche miteinander teilen. Und er gehört zu den heldenhaftesten Kapiteln der polnischen Geschichte.« Er unterstrich zugleich: »Die spätere Freiheitsbewegung der 1980er Jahre in Polen, die Vorbild war für viele andere und die letztlich zur Freiheit in Mittel- und Osteuropa, auch zur Freiheit in der östlichen Hälfte meines Landes geführt hat, auch diese Freiheitsbewegung war von diesem Geist der Unbeugsamkeit inspiriert.«
Das deutsche Staatsoberhaupt sprach auch das wichtigste deutsche erinnerungspolitische Projekt mit Polen an, dessen Konzept unter dem Dach der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas – in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Polen-Institut Darmstadt – erarbeitet wurde: »Gerade hat die deutsche Regierung ein Konzept für ein Deutsch-Polnisches Haus in Berlin beschlossen. Ein Ort des Gedenkens zur Erinnerung an polnisches Leid und an die polnischen Opfer des Zweiten Weltkrieges – aber gleichzeitig auch ein Ort der Begegnung.«
Die vollständige Rede des Bundespräsidenten kann hier nachgelesen werden: https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2024/07/240731-Gedenken-Warschauer-Aufstand.html
Den Tag beschloss ein Abendessen in der Residenz des Deutschen Botschafters in Polen, Viktor Elbling. Am Morgen des 1. Juli trafen beide Präsidenten zu einem vertraulichen Gespräch in Schloss Belvedere (Pałac Belweder), dem Wohnsitz des Staatspräsidenten, zusammen und legten anschließend gemeinsam Kränze am Mahnmal zur Erinnerung an die etwa 12.000 polnischen Zivilisten des Stadtteils Wola, die zwischen dem 5. und 12. August 1944 von SS-Einheiten ermordet wurden, nieder. Um 17 Uhr ertönten in Warschau wie überall in Polen die Sirenen, das gesamte Land hielt zum Gedenken inne.
Der Warschauer Aufstand war die militärische Erhebung der Polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa, kurz AK) gegen die deutsche Besatzungsmacht in Warschau vom 1. August bis zum 2. Oktober 1944. Wehrmacht und SS schlugen den Aufstand in 63 Tagen brutal nieder und verübten Massaker an der Zivilbevölkerung mit etwa 200.000 Ermordeten, die zu den schlimmsten deutschen Kriegsverbrechen zählen. Warschau wurde anschließend fast vollständig zerstört.