Erst vor kurzer Zeit war im Zuge des Relaunches der neuen Stiftungswebseite https://www.verfolgung-von-jugendlichen-im-ns.de/ eine von Schülerinnen und Schülern erstellte Biografie zu Ingeburg Geißler freigeschaltet worden. Auf der Webseite werden Jugendliche aus ganz Europa, die in der Zeit von 1933 bis 1945 von den Nationalsozialisten aus »rassischen«, politischen, religiösen und anderen Gründen verfolgt und teilweise sogar ermordet wurden, portraitiert. Eine dieser Jugendlichen ist Ingeburg Geißler, die am 8. Juli 1932 in Erfurt, Thüringen, als Tochter eines Gärtners und einer kaufmännischen Angestellten geboren wurde.
Ingeburg berichtete im Gespräch mit Yola-Marie Fanroth, von der Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa, von ihrer Kindheit: Ihr Vater ist jüdischen Glaubens, ihre Mutter Christin, Ingeburg wird jedoch nicht religiös erzogen. Um Mutter und Kind vor Zwangsmaßnahmen der nationalsozialistischen Machthaber zu schützen, lassen sich die Eltern scheiden. 1938 wandert der Vater nach Schanghai aus. Zu dieser Zeit lebt Ingeburg bei Verwandten in der Nähe von Erfurt. Ihre Tante ermöglicht ihr trotz zunehmender Diskriminierungen einen halbwegs normalen Alltag. Doch im Januar 1945 wird Ingeburg als Zwölfjährige ohne weitere Angehörige in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Auf der Fahrt dahin schreibt sie eine Postkarte, die sie aus dem Zug wirft. Darauf steht: »Es ist alles gelogen, ich komme nicht wieder.« Die anderen Menschen im Zug erklären ihr, es gehe nicht, wie von der Gestapo versprochen, in ein Umerziehungslager – sondern in die Gaskammern. »Die wussten alle mehr als ich. Für mich war Theresienstadt kein Begriff.« In Theresienstadt verbringt Ingeburg fünf Monate ohne Familie. Keines der Familienmitglieder wusste während dieser Zeit, ob sie noch am Leben war. »Es gab kaum etwas zu Essen, keine Medikamente, es war ein sehr kalter Winter und am Allerschlimmsten war das Ungeziefer.« Außerdem sei die Angst, ermordet zu werden, ein ständiger Begleiter gewesen.
Im Mai 1945 wird sie – als eines von etwa 100 Kindern – von der Roten Armee aus Theresienstadt befreit. Nach der Rückkehr in ihre Heimatstadt Erfurt macht sie trotz der verpassten Schuljahre mit Hilfe ihrer Mutter das Abitur, studiert später Jura und zieht nach Ostberlin.
Seit Jahren berichtet sie als Zeitzeugin von ihren Erlebnissen und setzt sich für mehr Toleranz und Zivilcourage ein.
Nachdem zahlreiche Schülerinnen und Schüler Fragen an Ingeburg Geißler gestellt hatten, betonte Yola-Marie Fanroth, was für ein Privileg es sei, zu einer Generation zu gehören, die noch Zeitzeug/-innen erleben dürfe. Und so schloss auch Ingeburg Geißler, dass es ihr ein großes Anliegen sei, insbesondere junge Menschen vor der Gefahr von Rassismus und dem Ausschluss vermeintlich »Anderer« zu warnen und stattdessen zu bitten, stets die Hand zu reichen, nicht wegzusehen und eine Brücke zu bauen: »Besonders da können und müssen sich junge Menschen einsetzen!«
__________
Die Zeitzeugenbegegnung wurde, wie in der Vergangenheit schon viele Male, gemeinsam mit der Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa organisiert.