An einer großen Ausfahrtsstraße der ukrainischen Hauptstadt Kiew, dem Prospekt Peremogi, steht ein markantes, in die Zeit gekommenes Gebäude. Es handelt sich um den in den 1930er Jahren errichteten »Kulturpalast des Maschinenbauwerkes ›Bolschewik‹«, seit 1993 Sitz des einzigen staatlichen Roma-Theaters des Landes, des »Romans«. Sein Leiter Igor Mykolajowytsch Krykunov: Regisseur, Theater- und Kinoschauspieler, Pädagoge, Sänger und »Volkskünstler« der Ukraine, vor allem aber der wohl bekannteste Vertreter der Roma-Minderheit des zweitgrößten Staates Europas.
Igor ist ein großer Mann, hat warme braune Augen und die tiefe, melodische wie melancholische Stimme eines Märchenerzählers; ein Charakter und ein wahrhaft besonderer Mensch. Doch worüber er bei unserer ersten Begegnung am 12. September 2018 – Zigarette nach Zigarette – berichtet, birgt wenig Märchenhaftes: Er spricht über ein Land, dem die Russische Föderation einen Krieg aufdrängt, über »seine« Leute, die ausgegrenzt, benachteiligt, feindselig behandelt werden, ja bei Pogromen sterben, über seinen fortwährenden Kampf, sein »Kind« – das Theater – am Leben zu erhalten. Aber Igor ist von dem, was er tut, überzeugt, kreativ, mutig, unverzagt, weil er fest daran glaubt, die Dinge zum Besseren wenden zu können. Mit immer neuen Stücken und Gastspielbeiträgen hält er sein Theater von Anbeginn über Wasser. Im Juni 2019 begleiten sein Ensemble und er Einweihungszeremonien der Stiftung Denkmal in Kalyniwka und Diwoschyn – kleinen Orten im Norden der Ukraine, an denen deutsche Einheiten 1942 Roma ermordeten. Diese Mordstätten waren im Rahmen des Projektes »Erinnerung bewahren« zu würdigen Gedenk- und Informationsorten umgestaltet worden. Hunderte Einheimische kommen und harren in sengender Hitze aus, um den musikalischen Darbietungen des »Romans«-Ensembles und Igors Gesang zu hören; allseits bewegende, unvergessliche Momente.
Gestern hörte Igors Herz auf zu schlagen. Er wurde 67 Jahre alt. Voller Schmerz um diesen Verlust eines großartigen Künstlers und Aktivisten, voller Mitgefühl für die Angehörigen und die ukrainischen Roma, die einen Helden verloren, gedenkt die Stiftung Denkmal Igor Krykunovs.