Seit dem 5. März 2024 ist die Enzyklopädie des NS-Völkermords an den Sinti und Roma Europas online zugänglich. Sie wurde in der Topographie des Terrors in Berlin präsentiert. Das Projekt wird unter Federführung der Forschungsstelle Antiziganismus der Universität Heidelberg umgesetzt. Die Projektleitung hat Dr. Karola Fings, die in ihrem mitreißenden Einführungsvortrag die Enzyklopädie mit einem Gebäude verglich, dass sich noch in der Fertigstellung befindet. Sie machte deutlich, dass es sich beim Präsentierten um einen Zwischenstand – sie verwendete das Bild des Rohbaus – handele. Über die kommenden Monate wird das historische Wissen zum Völkermord an Hunderttausenden Sinti und Roma unter nationalsozialistischer Herrschaft in Deutschland und Europa zusammengeführt. Dass mit der Onlinestellung erste Beiträge, dieser einzigartigen Wissensressource, bereits jetzt nutzbar sind, ist von unschätzbarem Wert für Wissenschaft, historische Vermittlung und Lehre.
Fings und ihre Kolleginnen und Kollegen hoffen mit der Enzyklopädie weitere Forschung anzustoßen, denn weiterhin gibt es zahlreiche Leerstellen. Sie wünschen sich, dass auch Nachkommen Verfolgter und Ermordeter Sinti und Roma auf das Projekt aufmerksam und ermuntert werden, die Geschichten ihrer Menschen zu teilen.
»Ziel des NS-Staats und seiner Rassenideologie war es, die Minderheit der Sinti und Roma zu vernichten. Zu diesem Thema sind zwar in den vergangenen Jahrzehnten bedeutende Spezialstudien erschienen, aber das Wissen ist auch heute noch stark fragmentiert«, erläuterte Projektleiterin Dr. Karola Fings. Das Online-Portal bietet eine Vielzahl von Zugängen: über Fachbeiträge, die nicht nur alphabetisch sortiert, sondern auch verschiedenen Rubriken wie Tatorte, Lebenswege oder Nachwirkungen zugeordnet sind. Neben Fotografien umfasst die digitale Enzyklopädie auch vielfältige hervorragend umgesetzte Karten: Hier werden europaweit alle Tatorte, zu denen Informationen vorliegen, verzeichnet. Konzentrationslager sind ebenso wie Orte, an denen Massaker verübt wurden, Teil der Darstellung. Eine Chronologie gibt einen Überblick über alle relevanten Ereignisse von 1933 an. Ein kurzes Editorial führt in die verschiedenen Ebenen ein und bietet eine direkte Navigation in die einzelnen Bereiche. Hierdurch werden einfach handhabbare, niederschwellige Zugänge ermöglicht.
Über 90 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 25 Ländern haben zu der Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa beigetragen. Das im Sommer 2020 gestartete und auf fünf Jahre angelegte Projekt wird vom Auswärtigen Amt mit Mitteln in Höhe von 1,6 Millionen Euro gefördert und von verschiedenen Kooperationspartnern, darunter die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, sowie einem wissenschaftlichen Beirat begleitet. Bis Ende 2025 soll die Enzyklopädie auf rund 1.000 Fachbeiträge anwachsen. Schon jetzt bildet sie einen Meilenstein für die Forschung und Bildungsarbeit. Das Werk ist auf Deutsch und Englisch angelegt, basiert technisch auf »Open Encyclopedia Systems« und wurde vom Center für Digitale Systeme (CeDiS) an der Freien Universität Berlin umgesetzt.
Die Enzyklopädie ist zu finden unter https://encyclopaedia-gsr.eu/
Die Veranstaltung vom 5. März 2024 kann unter https://www.topographie.de/veranstaltungen/livestream nachgesehen werden.
Bild: Screenshot der Online-Enzyklopädie