Am 11. Dezember 2024 traf ich den Zeitzeugen Kurt Hillmann zu einem Gespräch mit mehr als 130 Schülerinnen und Schülern in der Kurt-Tucholsky-Oberschule in Pankow, der Schule meiner Tochter. Er sprach über seine Krankheit, aber er tat es mit seinem funkelnd-verschmitzten Lachen und nahm der Botschaft so ihre Schwere. »Unkraut vergeht nicht«, meinte er. Die jungen Menschen lauschten über eine Stunde gespannt und gebannt seiner Lebenserzählung, ohne auch nur einmal auf ihre mobilen Telefone zu schauen. Zu moderieren hatte ich wenig, Kurt Hillmann war eingeübt. Wir verabschiedeten uns – wie so oft – »bis zum nächsten Mal«. Das wird es nicht mehr geben; er starb am 28. Februar 2025, wenige Wochen nach seinem 92. Geburtstag. Die Nachricht traf unvermittelt ein. Wieder ist eine wichtige Stimme gegen das Vergessen verstummt.
Kurt Hillmann wird zwei Wochen vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 als Sohn einer jüdischen Polin und eines Deutschen in Berlin geboren. Er macht schon früh Erfahrungen mit Antisemitismus. Auf dem Schulweg wird er regelmäßig von Angehörigen der Hitlerjugend verprügelt. Ab Ende 1941 beobachtet er, wie Menschen abgeholt werden. Auch seine beiden besten Freunde sind irgendwann nicht mehr da. Kurt Hillmanns Leben ist vom Krieg geprägt: Bombenangriffe, Fliegeralarm, brennende Häuser. 1944 gelingt es dem Vater durch Beziehungen, ihn in einem Heim für tuberkulosekranke Kinder im Allgäu unterzubringen. Als der Vater ihn dort im Februar 1945 besucht, muss er dem Jungen mitteilen, dass seine an Tuberkulose erkrankte Mutter verstorben ist. Sie hatte keinen Arzt gefunden, der sie behandeln wollte. Im Oktober 1945 kehrt Kurt Hillmann nach Berlin zurück. Aus der Familie seiner Mutter hat niemand überlebt. Sie alle waren zunächst in das Ghetto Litzmannstadt (Lodz) deportiert und später im Vernichtungslager Kulmhof in sogenannten Gaswagen erstickt worden. Kurt Hillmann entscheidet sich bewusst für ein Leben in der DDR, als dem »besseren«, dem »antifaschistischen« Deutschland, und bleibt bis zuletzt bei dieser Überzeugung. Nach einer Tischlerlehre studiert er Ökonomie und arbeitet dann im Außenhandel. Zu sprechen beginnt er spät, aber dafür umso öfter – vor allem in Berliner Schulen.
Seine Lebenserzählung an jenem Tag schloss Kurt Hillmann mit den Worten: »Ihr habt keine Schuld an der ganzen Geschichte. Aber ihr tragt Verantwortung. Ich vertraue da auf euch! Also handelt!« Hillmann war ein waschechter Ostberliner, ein Kind der Gegend um den Alexanderplatz. Die letzten Jahrzehnte wohnte er in Pankow. Sein verschmitztes Lächeln wird ebenso im Gedächtnis bleiben wie seine mahnenden Worte im heimischen Dialekt.
Die Gedanken der Mitarbeitenden der Stiftung sind bei seiner Familie und seinen Angehörigen.
Uwe Neumärker
Foto: Kurt Hillmann, 2021 © Stiftung Denkmal, Foto: Marko Priske