Der 16. Mai – der Tag des Aufstandes in Auschwitz 1944 – ist ein zentrales Datum in der Geschichte der deutschen und europäischen Sinti und Roma, das zum Symbol für den Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geworden ist. Die virtuelle Konferenz erinnerte an den Kampf der Sinti und Roma während der Verfolgung, für die Anerkennung des Völkermordes nach 1945 und für Gleichberechtigung. Im Mittelpunkt der Konferenz standen dabei der lange Weg zu einem Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin aber auch die aktuellen Diskussionen um die Planungen zum Bau der S-Bahnlinie S21 am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas.
Nach einem jahrzehntelangen Ringen um die Anerkennung des Völkermords an den europäischen Sinti und Roma und um die Errichtung des nationalen Denkmals neben dem Reichstag war mit der Einweihung 2012 ein Status Quo geschaffen. Die Verwirklichung des Denkmals wurde weit über Deutschland hinaus als abschließende Anerkennung, als Chance eines Neubeginns empfunden, der Gedenkort als Symbol der Übernahme von Verantwortung angenommen. Zugleich ist er ein zentraler Ort der Trauer.
Die aktuellen Planungen zum Bau der S-Bahnlinie S21 lassen die Diskussionen um Eingriffe in das Denkmal nicht abreißen. Sinti und Roma fühlen sich nicht angemessen angehört und beteiligt. »Dass dieser heilige Ort für Roma und Sinti bedroht ist«, so Zoni Weisz, »und die Erinnerung an unsere Lieben verschmiert ist, ist eine unverdauliche Angelegenheit für mich«. Für Überlebende ebenso wie für viele Roma und Sinti der zweiten, dritten und vierten Generation steht derzeit die Frage der Details nicht im Vordergrund, sondern die grundsätzliche Diskussion darüber, dies gaben die vor allem europäischen Stimmen* der Veranstaltung wieder.
So forderte Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, unter deren Dach auch das nationale Denkmal für die Sinti und Roma verantwortet ist, für das weitere Vorgehen: »Transparenz und breite Beteiligung von Selbstorganisationen aus Deutschland und Europa«, sowie »eine angemessene Sensibilität und ein angemessenes Bewusstsein über die einzigartige Beschaffenheit und die Bedeutung des Ortes.«
»Die Art, wie über das Denkmal im Zusammenhang mit dem Bau der S21 gesprochen und informiert wird«, so Neumärker weiter »ist ein fatales Signal in doppelter Hinsicht. Ein fatales Signal für Sinti und Roma in Deutschland und darüber hinaus, aber ebenso ein fatales Signal in Richtung Gesamtgesellschaft. Es bedeutet etwas, wenn das Denkmal zur städtebaulichen Manövriermasse wird. Hier stellt sich die Frage, nach der Ernsthaftigkeit der Bekenntnisse zur Übernahme von Verantwortung für den Völkermord und des besonderen Schutzes von Roma und Sinti und ihrer Belange auch in der Gegenwart.«
Gilda Horvath, Journalistin, Menschen- und Bürgerrechtsaktivistin aus Wien stellte in ihrem Beitrag zur Veranstaltung fest: »Das ist tatsächlich eine Frage der Werte einer Gesellschaft. Sind Infrastrukturbauten wichtiger als die Geschichte, als die Heilung der Gesellschaft in den Mittelpunkt zu stellen? Das Mahnmal steht nicht nur für die Vergangenheit, es steht auch für unseren täglichen, notwendigen Widerstand in der Gegenwart. Es ist ein Denkmal für unsere verstorbenen Vorfahren, aber es ist gleichzeitig ein Mahnmal für die Zustände der Gegenwart. Und jetzt versucht man einfach, darüber hinwegzufahren. Heute besteht unser Widerstand darin, dass wir uns dagegen wehren, einfach überfahren zu werden. Unsere Großeltern und Urgroßeltern, die heute nicht mehr da sind, sie erwachten nachts, schreiend, sie zitterten, wenn sie Stiefel am Gang hörten und wir sind mit ihnen aufgewachsen, wir haben das erlebt. Die Nationalsozialisten hinterließen bei uns allen tiefe, tiefe Wunden. Insofern sollte es um das Mahnmal in Berlin GAR KEINE Diskussion geben, denn der Diskurs selbst ist eine Beleidigung unserer gemeinsamen transgenerationellen Heilung.«
Esther Reinhardt-Brendel, Aktivistin der Initiative Roma Sinti Pride mahnte im Rahmen der Veranstaltung: »Die Diskussion darf nicht abrutschen. Es kann nicht sein, dass über uns hinweggegangen wird. Das geht nun so weit, dass darüber diskutiert wird, ob das Denkmal ein Ersatz für die Gräber unserer ermordeten Menschen ist, die keine haben. Das ist eine individuelle Frage, die jeder von uns für sich selbst entscheiden muss. Diese Entscheidung kann und darf mir niemand abnehmen.«
Zoni Weisz betont in seinem Beitrag:
»Nach vielen Jahren hatten wir – wie die Juden – einen Ort im Herzen Berlins, an dem wir uns an unsere ermordeten Lieben erinnern konnten. Mein Vater, meine Mutter, meine Schwestern und mein kleiner Bruder wurden in Vernichtungslagern der Nazis ermordet und haben kein Grab, an das ich gehen und Blumen legen könnte. Einen Ort, an dem ich stillstehen und in meinen Gedanken mit ihnen zusammen sein kann. Das ist ein großer Verlust. Ich betrachtete dieses Denkmal als das Grab meiner Familie.« Sein Anliegen daraus formuliert er so: »Ich fordere diejenigen, die die Strecke der neuen S-Bahn planen, auf, die Wünsche der Sinti und Roma-Gemeinschaft in Deutschland und darüber hinaus zu berücksichtigen. Die einzige gute Lösung ist eine alternative Route, damit unser Denkmal nicht beschädigt und Frieden garantiert wird. […] Lasst unser Denkmal unberührt, damit unsere Toten ihre ewige Ruhe finden.«
*An der Veranstaltung nahmen teil:
Begrüßung durch Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal, und Daniel Strauß, Geschäftsführer von RomnoKher und Vorsitzender des Verbands Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg. Aurėja Jutelytė, Historikerin, Litauen, Vortrag mit dem Titel »Der europäische Widerstand von Sinti und Roma gegen den Nationalsozialismus«. Jana Mechelhoff-Herezi (Leitung Erinnerung an Sinti und Roma, Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas) und Dr. Frank Reuter (Wissenschaftlicher Geschäftsführer, Forschungsstelle Antiziganismus, Universität Heidelberg) sprachen über den langen Weg zur Anerkennung des Völkermords. Mit Videobeiträgen aus der europäischen Perspektive waren dabei: Peter Pollák (MdEP, Slowakei), Eva Rizzin (Wissenschaftliche Koordinatorin, Beobachtungsstelle für Antiziganismus an der Universität Verona, Italien), Jon Pettersson (Vorsitzender der Frantzwagner Stiftung, Schweden), Liliana Hristache (Gründerin des Vereins »Rom Réussite« und Stadträtin von Montreuil, Frankreich), Lilyana Kovatcheva (Anthropologin, Pädagogin und Historikerin, Roma-Rat, Bulgarien), Zoni Weisz (Überlebender des Völkermords, Niederlande) Mit persönlichen Kommentaren in der Diskussion beteiligten sich Romeo Franz MdEP, Gilda Horvath (Romblog, Österreich), Esther Reinhardt-Bendel (Aktionsbündnis »Unser Denkmal ist unantastbar!«), Gjulner Sejdi (Romano Sumnal, Leipzig). Die Moderation übernahm Gilda Sahebi.
Die Aufzeichnung der Veranstaltung findet sich hier.