Von Mai bis Juli zeigt die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas die Wanderausstellung »›Was damals Recht war…‹ – Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht« zum ersten Mal in Luxemburg.
Gerichtshof der Europäischen Union, Eröffnung 16. Mai 2019, 18 Uhr
Laufzeit: 17. Mai 2019 bis 10. Juni 2019
Forum Geeseknäppchen, Eröffnung 13. Juni 2019, 15 Uhr,
Laufzeit: 14. Juni bis 21. Juli im Forum Geesseknäppchen
Zur Ausstellung
Die Ausstellung »Was damals Recht war …« – Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht erinnert an Tausende zu Unrecht Verurteilte der nationalsozialistischen Militärjustiz im Zweiten Weltkrieg. Unter ihnen waren deutsche und österreichische Wehrmachtdeserteure, Kriegsdienstverweigerer, sogenannte Wehrkraftzersetzer und Zivilisten und Zivilistinnen besetzter Länder. Auch zahlreiche Luxemburger, die ab 1942 gegen die Bestimmungen des Kriegsvölkerrechts in die Wehrmacht eingezogen wurden, gerieten in die Mühlen der Terrorjustiz, wenn sie desertierten oder sich dem Wehrdienst auf andere Weise entzogen und dabei gefasst wurden. Erstmals kommt »Was damals Recht war…« nun nach Luxemburg, wo die Geschichte der Zwangsrekrutierten seit Jahrzehnten einen zentralen Bestandteil der nationalen Erinnerungskultur bildet.
Luxemburger als Verurteilte der Wehrmachtjustiz – ein bisher wenig beachtetes Thema
Vor allem der massive Widerstand gegen die Zwangsrekrutierungen, der bis heute als Generalstreik erinnert wird, und die Opfer des darauffolgenden deutschen Terrors sind bis heute unvergessen. Die Prozesse, die Wehrmachtgerichte gegen die Luxemburger Kriegsdienstverweigerer und Deserteure führten, fanden bisher allerdings weniger Beachtung. Anlässlich des Gastaufenthaltes wurde die Ausstellung umfangreich überarbeitet. Dazu zählt auch die Aufnahme zweier neuer Fallgeschichten von Verurteilten, Jean Muller und Adolphe Felgen.
Jean Muller aus Fouhren wurde im Oktober 1942 zunächst zwangsweise in den Reichsarbeitsdienst, im Mai 1942 in die deutsche Wehrmacht eingezogen. Bei einem Heimaturlaub gelangte er 1944 an Tabletten, die eine künstliche Gelbsucht erzeugen konnten. Durch ihre Einnahme wollte er sich dem weiteren Kriegsdienst entziehen. Der Plan flog auf und er wurde wegen »Wehrkraftzersetzung« zum Tode verurteilt. Monatelang verbrachte er in Todesangst im Wehrmachtgefängnis Fort Zinna in Torgau an der Elbe. Eine Entscheidung über sein Gnadengesuch erfolgte wegen der Wirren zu Kriegsende offenbar nicht mehr. Nach einem kurzen Kriegseinsatz als Strafsoldat geriet Jean Muller in alliierte Kriegsgefangenschaft, aus der er im Juni 1945 freikam.
Adolphe Felgen aus Niederkorn erhielt im August 1943 seinen Einberufungsbefehl zur Wehrmacht. Doch der junge Luxemburger kam dem Befehl nicht nach und floh mit der Unterstützung eines Widerstandsnetzwerks über Freiburg im Breisgau in Richtung Schweiz. An der Grenze wurde er verhaftet. Das Gericht der Division Nr. 172 wertete sein Handeln als Fahnenflucht und verhängte eine Haftstrafe von 15 Jahren Zuchthaus. Der Richter erkannte zugleich auf »Wehrunwürdigkeit«. Der Verurteilte kam in den zivilen Strafvollzug und in die Emslandlager, wo unmenschliche Haftbedingungen herrschten. Adolphe Felgen starb im April 1944 bei einem alliierten Tieffliegerangriff auf das Lager VII Esterwegen. Die Fallgeschichte wurde durch den Historiker Dr. Sebastian Weitkamp, Mitarbeiter der Gedenkstätte Esterwegen, erstellt.
Dringender Forschungsbedarf
Die beiden Biographien stehen für vermutlich hunderte von der Wehrmachtjustiz verurteilte Luxemburger. Weitergehende Forschungen stehen noch aus. Die Ausstellung versteht sich hier als Anregung und will Interesse für das Thema »Luxemburger und die Wehrmachtjustiz« wecken. So sind die zahlreichen Fallakten des für Luxemburger zuständigen Wehrmachtgerichts der Division 172 im deutschen Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg im Breisgau noch systematisch auszuwerten. Für die Zweigstelle dieses Gerichts in Koblenz-Ehrenbreitstein existieren allein 740 Prozessakten, davon vermutlich zahlreiche zu Luxemburgern. Die Ausstellung nimmt hier Bezug auf den massiven Druck, den der Gauleiter und Chef der Zivilverwaltung Gustav Simon auf die Wehrmachtjustiz ausübte. Als im Laufe des Jahres 1943 die Zahl der fahnenflüchtigen Luxemburger sprunghaft anstieg, ließ Simon nicht nur Angehörige von Deserteuren in den Osten des Deutschen Reiches umsiedeln. Er wandte sich auch an den Befehlshaber des Ersatzheeres, Erich Fromm (1888–1945), dann an den Reichsführer-SS Himmler. Er kritisierte die angeblich milde Urteilspraxis des zuständigen Gerichtes der Division 172 und forderte die härteste Bestrafung von Luxemburger Deserteuren. Die Wehrmacht lehnte ein Abweichen von den Bestimmungen zur Fahnenflucht ab, kam Simon aber insofern entgegen, als sie die Zuständigkeit auf ein anderes Gericht übertrug.
Der Kampf von »Ons Jongen« um Anerkennung nach der Befreiung
Die Ausstellung geht auch ausführlich auf den Kampf der ehemaligen Zwangsrekrutierten um Anerkennung ein. »Ons Jongen« – »Unsere Jungen« hatte die Bevölkerung die Verschleppten in deutschem Dienst genannt. Diese freundlich-zugewandte Bezeichnung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Luxemburger Erinnerungskultur jahrzehntelang von Spannungen zwischen ehemaligen Widerstandskämpfern und Zwangsrekrutierten geprägt war. Zwangsrekrutierte hatten Mühe, als Opfer der deutschen Besatzung anerkannt zu werden. Die Ausstellung portraitiert hier einen ihrer wichtigsten Aktivisten, den Düdelinger Unternehmer Jos Weirich (1922 – 2010). Viele Jahre bekleidete er das Amt des Präsidentes der Fédération des victimes du nazisme enrôlées de force. Die Fédération zeichnete den Einsatz der Zwangsrekrutierten als patriotischen Opfergang, der drohende weitere Gewaltmaßnahmen der Nationalsozialisten, beispielsweise Sippenhaft, abgewendet habe. Unermüdlich kämpfte Jos Weirich um die vollständige Anerkennung. Nach siebenjährigem Ringen erkannte der Staat 1967 die Zwangsrekrutierten als Opfer der Nationalsozialisten an, womit jedoch keine finanziellen Vorteile verbunden waren. Unter dem Motto: Mir ginn eis net! kämpfte Weirich weiter. 1977 überreichte er der Abgeordnetenkammer eine Petition mit 40.000 Unterschriften. Zwei Jahre später zog er über eine eigene Liste der Zwangsrekrutierten selbst ins Parlament ein. Im Juni 1981 konnte die volle finanzielle Gleichstellung der Zwangsrekrutierten erreicht werden.
Hintergrund und Bildungsprogramm
Die Ausstellung wurde von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin erstellt, deren Aufgabe es ist, zur Erinnerung an alle Opfer der Nationalsozialisten beizutragen. Die Erstellung der Luxemburger Ausstellungsteile erfolgte in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Esterwegen und in Beratung mit dem Service de Mémoire der Luxemburger Staatsregierung, dem Zentrum fir politesch Bildung und dem Musée national de la Résistance in Esch. Für den zweiten Ausstellungsort Forum Geeseknäppchen bereitet das Zentrum fir politesch Bildung ein programm für Schüler und Schülerinnen vor. Diese sollen als Peer-Guides andere Jugendliche durch die Ausstellung führen. Zudem sollen Lehrkräfte angesprochen werden.
Die mit Mitteln der deutschen Bundesregierung finanzierte Ausstellung wurde bisher an 49 Stationen in Deutschland, Österreich und Belgien gezeigt. Kooperationspartner. Stiftung Sächsische Gedenkstätten, die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, die Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt – Gedenkstätte ROTER OCHSE Halle (Saale), die Bundeszentrale für politische Bildung und die Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e.V.
Mehr Informationen zur Ausstellung und zum Begleitprogramm unter: www.stiftung-denkmal.de/ausstellungen/was-damals-recht-war.html
Kontakt:
Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Tel.: +49 (0)30 – 26 39 43 66, E-Mail: presse [at] stiftung-denkmal.de, www.stiftung-denkmal.de