Viele Überlebende der NS-Verfolgung haben durch den russischen Angriffskrieg ihre Häuser verloren oder mussten sie verlassen. Im April 2022 war auch Raisa Tupytsia aufgrund der russischen Angriffe und Bombardierungen gezwungen, ihre Wohnung in Charkiw zu verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Sie lebt nun im Gebiet Perejaslaw.
»Am 24. Februar 2022, im Alter von 77 Jahren, berührte mich das schreckliche Wort ‘KRIEG’ erneut. Ich wurde während des Krieges geboren und lebe meinen Lebensabend wieder während des Krieges: auf den Kissen anderer Leute, im Haus eines anderen… Mögen Kriege für immer verflucht sein!«.
Das »Hilfsnetzwerk für Überlebende der NS-Verfolgung in der Ukraine« unterstützt Raisa durch Spenden monatlich mit einer Patenschaft sowie Hilfsgütern wie Decken und Lampen für den Winter.
»Ich möchte Ihnen für die Unterstützung danken. Dafür, dass sie nicht abseits der Probleme der Menschen stehen, die die schrecklichsten Dinge durchgemacht haben: Krieg, zerstörte Wohnungen, gestohlenes Alter.«
Raisa Tupytsia wurde 1945 geboren, während ihre Mutter Zwangsarbeit auf einem Hof in Österreich leisten musste. Bekamen Zwangsarbeiterinnen Kinder, so unter widrigsten Bedingungen. »Meine Mutter arbeitete bei einem Landwirt. Sie wohnte in den Nebengebäuden neben dem Vieh. Und Gott weiß, wie es ihr gelang, sich um mich zu kümmern!«, schreibt Raisa Tupytsia.
Ihre Lebensgeschichte hat die NS-Überlebende Raisa Tupytsia für das Hilfsnetzwerk aufgeschrieben.
»Februar… ein Monat, der das Herz mit Schmerz durchdringt… Ich wurde am 5. Februar 1945 in Gefangenschaft geboren (Olsen-Dorf, Österreich). Aber wie kann man helfen, wenn ein Kind in einer feindlichen Umgebung geboren wird, wo man nicht will, dass es lebt, wo sein Schicksal vorbestimmt ist? Wozu ist eine Frau fähig, wenn die Mutterschaft zum Überlebenskampf wird und statt eines Zuhauses kalte Baracken, statt einer Wiege zerbrochene Bretter stehen? Es war sehr schwer für Frauen, die während des Zweiten Weltkriegs als Zwangsarbeiterinnen in einem fremden Land ihre Kinder zur Welt brachten.
Meine Mutter hieß Palagia, eine freundliche Ukrainerin mit einem dicken schwarzen Zopf und blauen Augen, die nicht wusste, was morgen mit ihr geschehen würde. Im Alter von 19 Jahren wurde sie gewaltsam aus ihrem Haus geholt und mit einem Lastwagen in ein fremdes Land gebracht. Dann wurden sie mit anderen Gefangenen in ein eingezäuntes und bewachtes Lager gebracht. Später wurden sie, jung und gesund, meist Mädchen, obwohl es viele Minderjährige gab, überall zur Arbeit eingesetzt: in großen Fabriken, in der Landwirtschaft und in der privaten Landwirtschaft. Meine Mutter arbeitete bei einem Landwirt. Sie melkte Kühe. Sie wohnte in den Nebengebäuden neben dem Vieh. Und Gott weiß, wie es ihr gelang, sich um mich zu kümmern!
Nach dem Ende des Krieges kehrten wir nach Hause zurück. Ich verbrachte meine Kindheit in meinem Heimatdorf Kuljabiwka im Kreis Perejaslaw in der Region Kiew. Aber sie war nicht sehr glücklich. Ständige Demütigungen, Schikanen durch Gleichaltrige, Tränen bei mir und meiner Mutter… Man nannte uns “Deutsche” und alle möglichen Schimpfwörter. Das kann ich bis heute nicht vergessen.
Ich wurde von den Eltern meiner Mutter, Großmutter Motria und Großvater Mykola, aufgezogen, denen ich immer dankbar sein werde. Im Alter von 9 Jahren begann ich zu arbeiten. Ich habe Schweine gehütet und später auf einem Bauernhof gearbeitet und Kühe gemolken. Meine Großmutter Motria liebte mich sehr. Sie wollte, dass ich eine Ausbildung erhalte. Die Familie sparte Geld für meine Ausbildung. Nachdem ich acht Jahre zur Schule gegangen war, begann ich eine Ausbildung zur Tieräztin. Ich schloss das Studium erfolgreich ab und begann zu arbeiten. Ich behandelte mein ganzes Leben lang Haustiere, bis ich in den Ruhestand ging.
Im Jahr 2005 zog ich in die Region Charkiw. Ich genoss das Leben, meine Kinder und Enkelkinder. Doch am 24. Februar 2022, im Alter von 77 Jahren, berührte mich das schreckliche Wort “KRIEG” erneut. Am 6. April 2022, nach Beschuss, Bombardierung, ständige Einschläge und später zerstörten Wohnungen, beschlossen wir alle, umzuziehen. Aber wohin? Wir kamen in das Gebiet Perejaslaw, wo die Gemeinde ein verlassenes Haus zur Verfügung stellte.
Ich habe ein sehr schwieriges, kompliziertes Leben mit einem Beigeschmack von Bitterkeit geführt. Ich wurde während des Krieges geboren und lebe meinen Lebensabend wieder während des Krieges: auf den Kissen anderer Leute, im Haus eines anderen… Mögen Kriege für immer verflucht sein! Möge Frieden herrschen auf der ganzen Welt, zwischen allen Völkern der Erde!
Ich bin dem Hilfsnetzwerk sehr dankbar für die finanziellen Zahlungen und die umfassende Unterstützung. Dies ist eine große Hilfe für mich in einer schwierigen Zeit! Gott segne Sie, Friede sei mit Ihnen allen!«
Die Hilfe in Zahlen
Wir haben bislang mit über 622.900 Euro Spendengeldern und Drittmitteln in 4186 Fällen Überlebende der NS-Verfolgung über finanzielle Soforthilfen sowie mit dringend benötigten Hilfsgütern erreicht. 803 Mal konnten wir Angehörige und Fachkolleg:innen unterstützen.
Helfen Sie mit Ihrer Spende den Überlebenden der NS-Verfolgung in der Ukraine!
Spendenkonto bei der Berliner Volksbank
Empfänger: Kontakte-Kontakty
IBAN: DE59 1009 0000 2888 9620 02
BIC: BEVODEBB
Die Koordinierung des Hilfsnetzwerks wird unterstützt durch eine Förderung der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft.