Am 9. November 1938 – vor 84 Jahren – wurde Regina Steinitz Augenzeugin des Novemberterrors. In dem Zeitzeugenbericht »Zerstörte Kindheit und Jugend — Mein Leben und Überleben in Berlin«, erschienen bei der Stiftung Denkmal, erzählt sie von den Schrecken dieser Nacht:
»Eines Tages, es muss der 9. November 1938 gewesen sein, klopfte unsere Nachbarin an unsere Tür und was sie sagte, klingt mir noch heute in den Ohren: »Die stecken überall in Berlin die Synagogen in Brand. Und die Schaufenster der jüdischen Geschäfte werden eingeschlagen, es wird geplündert.« Mit »die« waren die Nazis gemeint, das war klar. Meine Mutter war zu krank, sie ging kaum noch auf die Straße, aber meine Brüder sagten sofort: »Wenn sie die Synagogen abbrennen, muss man die Thorarollen retten.« Meine Brüder liefen also los und ich hinterher, ich machte immer alles nach, was sie taten. Nebenan, in der schmalen Gasse, die Kleine Auguststraße heißt, brannte die Synagoge von Ahawas Scholaum, da überlegte man nicht lange, viele jüdische Leute löschten schon mit Kleidern und Jacken. Andere waren dabei, Bücher aus dieser brennenden Synagoge zu schleppen, viele waren angesengt, Gebetsbücher wie sie immer unter den Pulten lagen, Siddur und Machsor, Gebete für den Alltag und für die Festtage und für den Sabbat. Meine Brüder beteiligten sich an dieser Rettungsaktion und plötzlich waren da stapelweise diese angebrannten Bücher. Wohin damit? Auf der Straße war ja auch der Mob, der die Synagoge in Brand gesetzt hatte. Da schleppten sie die Bücher in unsere Wohnung. Weil meine Neugier größer war als meine Angst, lief ich plötzlich allein zur Rosenthaler Straße, bis zum Hackeschen Markt, schaute mir die jüdischen Geschäfte mit den zerschlagenen Scheiben an. Davor auf der Straße lagen Kleider, zerschlagenes Geschirr, Menschen liefen in die Geschäfte, warfen etwas hinaus, andere fingen das auf, rafften ihre Beute zusammen. Es war ein grauenhafter Anblick, die Leute waren außer Rand und Band in ihrer Gier.«
Foto: Berlin-Prenzlauer Berg, 1940: Regina und ihre Schwester Ruth im Kinderheim Fehrbelliner Straße 92, © Regina Steinitz