Auf dem Podium diskutierten die auf Polen spezialisierte Historikerin Anna Delius, der tschechische Hörfunkkorrespondent Pavel Polák sowie Adam Kerpel-Fronius, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Denkmal, der über die Erinnerungspolitik in seinem Heimatland Ungarn sprach. Durch den Abend führte die Journalistin Isabelle Daniel.
Die Gäste auf dem Podium gingen der Frage nach, wie die jeweiligen Regierungen in den drei Ländern versuchen, mit Geschichte Politik zu machen, beziehungswiese inwieweit es sich dabei um ein ausschließlich osteuropäisches Phänomen handelt.
Anna Delius sprach von sehr eindeutigen Versuchen der gegenwärtigen Regierung in Polen, ein ganz bestimmtes Narrativ der polnischen Geschichte im In- und Ausland durchzusetzen, die gleichzeitig eine Geschichte des Heldentums und des Martyriums ist. Als Beispiele nannte sie das umstrittene neue »Holocaust-Gesetz« sowie den Machtkampf um das Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig. Sie erinnerte gleichzeitig daran, dass seinerzeit das Danziger Museum von der damaligen Regierung Tusk auch als Reaktion auf das in Berlin geplante Vertriebenenzentrum ins Leben gerufen wurde, das wiederum in Polen über die Parteigrenzen hinweg als sehr problematisch betrachtet wurde.
Adam Kerpel-Fronius vertrat die These, dass die ungarische Regierung anders vorzugehen scheint: Geschichte wird in den internationalen Beziehungen seltener als Argumentationshilfe bemüht. Trotz vieler umstrittener Äußerungen von Regierungsvertretern, die an ein bestimmtes innenpolitisches Klientel gerichtet zu sein scheinen, wird die grundsätzliche historische Verantwortung Ungarns für seine Rolle im Zweiten Weltkrieg und im Holocaust nicht infrage gestellt. Vielmehr sei die Tendenz zu beobachten, dass sich das rechtskonservative Regierungslager damit abgefunden habe, dass die kollektive Erinnerung im Land entlang der innenpolitischen Konfliktlinien gespalten ist. Als Beispiel nannte Kerpel-Fronius die Diskussionen um das umstrittene Budapester Denkmal für die Opfer der deutschen Besatzung, das mit einem so starken Gegenwind aus der Zivilgesellschaft heraus konfrontiert worden war, so dass es schließlich ganz ohne Eröffnungszeremonie an seinen Platz gestellt wurde. Seither werden am Denkmal alternative Formen des Gedenkens praktiziert.
Pavel Polák meinte, dass sich Tschechien auf diesem Gebiet deshalb wesentlich von Ungarn und Polen unterscheidet, da der tschechische Diskurs traditionell weniger emotional aufgeladen sei. Auch äußerten sich tschechische Nationalisten meist pragmatischer, so gäbe es in Tschechien etwa keine Nostalgie nach verlorenen Gebieten. So sei es auch nicht weiter überraschend, dass es die neue, mit dem Vorwurf des Populismus konfrontierte Prager Regierung war, die nach langjährigen Diskussionen endlich eine Lösung für den historischen Ort des »Zigeunerlagers Lety« gefunden habe, an dem sich bisher eine Schweinemastanlage befand.