Am 22. Juli 1944 – vor 75 Jahren – verließ das deutsche Wachkommando das Nazi-, Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek bei Lublin (Polen). Gleichzeitig ging der letzte Häftlingstransport nach Auschwitz ab. Zwischen Herbst 1941 und Juli 1944 wurden hier etwa 80.000 Menschen ermordet – darunter ungefähr 60.000 Juden, polnische politische Häftlinge und andere Zivilisten, wie auch Weißrussen, Ukrainer und Russen. Noch 1944 entstand in Lublin auf dem Gelände des NS-Lagers die europaweit erste KZ-Gedenkstätte zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus.
Am 25. Juli 2019 fand in Erinnerung an die Befreiung vor 75 Jahren und im Gedenken an die etwa 80.000 hier ermordeten Menschen eine Buchvorstellung mit Lesung im Ort der Information des Holocaust-Denkmals statt. Nach der Begrüßung durch Eva Brücker, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, folgte eine historische Einführung von Wiesław Wysok, stellvertretender Direktor des Staatlichen Museums Majdanek. Er stellte zunächst die verschiedenen Funktionen des Vernichtungslagers dar: Majdanek war ein Arbeitslager, ein Ort für die Ausplünderung jüdischer Verfolgter, ein Ort, an dem Arbeitskräftereservoirs für die umfangreichen Bauvorhaben der Nazis in der Region Lublin gebildet wurden, und ein Ort physischer Vernichtung. Jüdische Häftlinge wurden körperlich bis zur völligen Erschöpfung ausgebeutet und durch Aushungern, Auszehren und unbehandelte Krankheiten systematisch vernichtet. Im Anschluss ging Wysok auf die Opferzahlen ein, die aufgrund fehlender Quellen nur geschätzt werden können und bei mindestens 80.000 gelegen haben. Alleine am 3. November 1943 sind – im Rahmen der im NS-Jargon so genannten »Aktion Erntefest« – etwa 18.000 Juden in Majdanek erschossen worden.
Nur wenige Insassen überhaupt haben das Vernichtungslager überlebt.
Wäre Mordechai Strigler (1918 –1998) nicht schon am 28. Juli 1943 mit weiteren Häftlingen in das Arbeitslager Skarżysko-Kamienna weiter deportiert worden, so hätte auch er nicht weiterleben können.
Als Schriftsteller und Journalist begann er bereits im Frühjahr 1945, kurz nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Buchenwald, seine Erfahrungen in den Lagern des besetzten Polens literarisch zu verarbeiten und in jiddischer Sprache zu veröffentlichen. Es dauerte rund 70 Jahre, bis Striglers Texte auf Deutsch erschienen. Dr. Frank Beer, Herausgeber der deutschen Fassung von Mordechai Striglers frühem Zeitzeugenbericht »Majdanek«, stellte den Gästen im Ort der Information den Menschen Mordechai Strigler vor. Strigler wurde 1918 bei Zamosc̒ ̒ (Polen) geboren. Während der Zeit des Nationalsozialismus war er Häftling in zwölf Arbeits- und Konzentrationslagern. Kurz nach seiner Befreiung 1945 emigrierte er nach Paris und begann, seine Erfahrungen in der Tetralogie »Verloschene Lichter« niederzuschreiben, zu der auch der an diesem Abend vorgestellte Band gehört. 1952 ging er nach New York und arbeitete bis zu seinem Tod 1998 für jiddische Zeitungen. Er war einer der ersten Schoah-Überlebenden, die darüber schrieben. Er selbst hofft lediglich, auf diese Art eine tiefere Dokumentation abgeben zu können von dem, was jeder Teil seines Körpers und seiner Seele in sich aufgesogen hat. Beer betonte, dass der frühe, sehr detaillierte und schonungslose Bericht Striglers auch einer der wenigen aus dem Jiddischen übersetzten und veröffentlichen Texte sei. Die Rezeption von jiddischen Erinnerungsberichten habe gerade erst begonnen.
Der Höhepunkt des Abends war dann die Lesung des Berliner Schauspielers Rainer Schmitt aus dem Buch Mordechai Striglers. Über den Moment, als er im Juli 1943 aus dem Vernichtungslager Majdanek laufen muss und die Situation unverständlich und unsicher ist, berichtet Strigler dies: »Tausend Männer bewegen sich hinaus aus dem Konzentrationslager Majdanek auf dem Weg zu einer neuen Etappe. Jeder Schritt klopft mit neuem Zweifel am Herzen an: wohin? Bringt man uns denn überhaupt irgendwohin? Niemand weiß es«. »Mit diesen bildhaften Beschreibungen und der lesenden Stimme entstanden ganz beklemmende Bilder und man hatte den Alltag aus dem Lager ganz deutlich vor Augen.«, so ein Gast am Ende der Lesung.