Die Initiative zur ersten Roma-Biennale stammt von dem britischen Künstler, Queer- und Vordenker Damian le Bas, der als »Vater der zeitgenössischen Roma-Kunst« gilt. Er starb völlig unerwartet im Dezember 2017. Kuratoren der Biennale waren seine Ehefrau Delaine le Bas, mit der er zahlreiche seiner Projekte gemeinsam umsetzte, und der Berliner Künstler und Bürgerrechtskämpfer Hamze Bytyci.
Die ROMADAY-Parade, zu der eigens ein Festwagen mit einigen der unverwechselbaren Motive le Bas‘, unter anderen dem »offenen Auge« gestaltet wurde, startete mit einer Kundgebung vor dem Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas, an der rund 250 Menschen teilnahmen.
Die Kundgebung wurde vom Bündnis für Solidarität mit den Sinti und Roma Europas gestaltet. Es war nach 2016 und 2017 bereits das dritte Mal, dass das Bündnis eine Veranstaltung zum ROMADAY in Berlin ausrichtete. Dieser Zusammenschluss von 25 namhaften Institutionen und Organisationen spricht sich vehement gegen die Ausgrenzung, Benachteiligung und Gewalt gegen Roma und Sinti aus.
Die Redner der diesjährigen Kundgebung waren Gründungsmütter und –väter des Bündnisses: Jana Mechelhoff-Herezi (Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas) begrüßte die Anwesenden und sprach einige einführende Worte über das gemeinsame Anliegen und erinnerte an den Anlass des Welt-Roma-Tages: am 8. April 1971 fand in der Nähe von London der erste Welt-Roma-Kongress statt. Dies war der Beginn einer internationalen Bürgerrechtsbewegung der Roma und Sinti. Dotschy Reinhardt (Autorin, Musikerin und Vorsitzende des Landesrats der Roma und Sinti in Berlin-Brandenburg) nannte in ihrer Rede zahlreiche verstörende Beispiele von Romafeindlichkeit aus ihrem Privat- und Arbeitskontext. Helmut Metzner (Vorstandsmitglied des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland) appellierte, die Unterschiede – schwul, lesbisch, Sinti, Roma, Jude oder die Zugehörigkeit zu einer anderen sogenannten Minderheit – endlich als gegeben hinzunehmen und sich auf das gemeinsame als Menschen zu besinnen. Er zeigte sich zudem alarmiert darüber, dass antisemitische, homophobe und frauenfeindliche Äußerungen wie im Fall der diesjährigen ECHO-Gewinner geduldet würden. Michaela Fuhrmann (Leiterin der politischen Abteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland) betonte mit Verweis auf die ähnlichen Verfolgungsschicksale während des Nationalsozialismus die gegenseitige Solidarität von Juden und Sinti und Roma. Hamze Bytyci (RomaTrial e.V.) schlug den Bogen zur Eröffnung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas und zu den damals geweckten, jedoch bis heute nicht erfüllten Hoffnungen. Dann trug der die 2015 in einem gemeinsamen Aufruf der Bündnispartner gestellten Forderungen zur Gleichberechtigung und gegen die Ausgrenzung von Roma und Sinti vor. Zum Schluss sprachen Petra und Franz Michalski. Herr Michalski überlebte als Kind den Völkermord an den europäischen Juden im Berliner Untergrund. Das Ehepaar unterstützt das Bündnis seit dessen Gründung auf vielerlei Weise. Petra Michalski berührte viele der Zuhörer sehr, als sie sagte, ihr Engagement für Roma und Sinti sei weniger Solidarität im einem politischen Sinne, denn eine Herzensangelegenheit.
Nach dem Ende der Kundgebung setzte sich der Wagen in Bewegung und fuhr über die Scheidemannstraße am Reichstagsgebäude vorbei, über die Wilhelmstraße und Unter den Linden zum Brandenburger Tor, wo die Parade erneut haltmachte. Dort sprachen Mikaela Dragan (Rumänien), Patricia Knight (Großbritannien) und Romeo Franz (Mannheim/Berlin, Hildegard-Lagrenne-Stiftung, Bündnis für Solidarität mit den Sinti und Roma Europas und zukünftiger Abgeordneter im Europäischen Parlament für Bündnis 90 / Die Grünen). Simonida und Sandra Selimovic (Wien) bezogen mit ihrem hochpolitischen Rap wortwitzig und klar Stellung gegen die Unterdrückung der europäischen Roma, Lindy Larsson und Riah May Knight präsentierten eine wundervolle, berührende Duett-Version der Roma-Hymne »Gelem Gelem«. Gegen Ende des Halts am Brandenburger Tor solidarisierten sich spontan die Teilnehmer einer zeitgleich stattfinden Demonstration für ein stabiles und tolerantes Europa der Bewegung Pulse of Europe mit den ROMADAY-Paradeteilnehmern. Begleitet von den mitreißenden Beats von László Farkas alias DJ Gypsyrobot zog die Parade dann über Unter den Linden zum Maxim Gorki Theater. Dort endete sie mit einer Performance des Roma Jam Session Art Kollektiv (Zürich).
Rückblick zu weiteren Veranstaltungen im Rahmen der Roma-Biennale COME OUT NOW!
Die erste von Romakünstlerinnen und Romakünstlern selbst organisierte Roma-Biennale, mit Beteiligten aus ganz Europa, umfasste zahlreiche weitere Veranstaltungen, mit weit mehr als 1.500 Gästen allein zu den Veranstaltungen im Gorki Theater. Das Ziel der Biennale, die Arbeiten der Romakünstlerinnen und Romakünstler einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen, haben die Macher vorerst erreicht.
Retrospektive: GYPSYLAND
Die anlässlich des unerwarteten Todes des Biennale-Initiatoren Damian Le Bas ausgestellten Werke repräsentieren verschiedene Phasen seines künstlerischen Schaffens: Von Skizzenbüchern aus der Studienzeit in den 1980er Jahren, in denen er Symbole, die Roma und Sinti markieren sollen, sich aneignete und in Variationen verfremdete, über Landkarten und Globen, die er überzeichnete und so nicht nur geografische Grenzen symbolisch sprengte, bis hin zu Zeichnungen auf Verpackungskartons. Neben Le Bas‘ Werken, waren auch zwei Versionen des Safe European Home? zu sehen, an denen Damian zusammen mit seiner Frau Delaine Le Bas arbeitete; außerdem Werke von Gabi Jimenez und Karol Radziszewski, mit denen er in seiner späten Lebensphase zusammen gearbeitet hatte. Ergänzt wurde die Retrospektive durch Gegenstände aus Le Bas‘ Studio, die ihn zu Zeichnungen, seinen eigenen Tätowierungen, Video- und Audioinstallationen anregten.
Die Eröffnung der Retrospektive war zugleich auch die Auftaktveranstaltung der Biennale.
Performance Romani Embassy
Zweimal öffnete Delaine Le Bas während der Biennale die Pforten ihrer Romani Embassy, der Roma-Botschaft. In dieser Langzeit-Performance, die die Künstlerin ständig verändert, macht Le Bas die fehlende nationale Vertretung der Roma in allen Ländern der Welt zum Gegenstand. Während der Performance wird sie selbst zur Informationsstelle, zum lebendigen Archiv, zur Verkörperung einer internationalen Bewegung. Mit Bärenmaske und Laptop tanzte sie durch das Publikum, um auf die Welle des Antiziganismus aufmerksam zu machen, die 2013 nach der »Entdeckung« des mutmaßlich entführten, blonden Roma-Mädchens Maria anrollte, und als Ausdruck ihres Bemühens, sich sichtbar zu machen, sich einen Platz zu schaffen, Aufmerksamkeit zu erzeugen.
Theater: Lange Nacht des Coming-Outs
In einem Workshop im Februar 2018 erarbeiteten 13 Roma-Künstler und Künstlerinnen eine Reihe individueller und kollektiver Performances, die am 7. April im Studio Я des Maxim Gorki Theaters als Lange Nacht des Coming-Outs Weltpremiere feierte. Künstlerinnen und Künstler aus Rumänien, Ungarn, Deutschland, dem Kosovo, Österreich und Großbritannien erarbeiteten Positionen zu ihrer Identität als Roma in der europäischen Öffentlichkeit. Candis Nergaard und Riah May Knight aus England beschäftigten sich mit dem im Dritten Reich ermordeten Sinto und Boxer Johann Rukeli Trollmann. Auf der Suche nach Vorbildern verarbeiteten die Künstlerinnen seine Biografie und ehrten damit auch seine Tochter, Rita Trollmann, die im Publikum anwesend war. Weitere Performer waren Hamze Bytyçi, Mihaela Drăgan, László Farkas, Franciska Farkas, Kristóf Horváth, Mihails Kokarevics, Lindy Larsson, Damian James Le Bas, Delaine Le Bas, Sandra Selimović und Simonida Selimović.
Netzwerkforum: Meet & Greet
Zahlreiche Teilnehmer der Parade waren im Anschluss Gäste beim Meet & Greet, wo Aktivistinnen und Aktivisten ihre Arbeit vorstellten, um sich mit anderen Initiativen zu vernetzen und zu diskutieren. Mit dabei waren Mo Diener / Roma Jam Session Art Kollektiv Zürich, Romeo Franz / Bündnis für Solidarität mit den Sinti und Roma Europas, Gianni Jovanovic / Queer Roma, Milan Pavlovic / Romano Bündnis und Joschla M. Weiß / IniRromnja, die Moderation hatte Veronika Patockova.
Theater: Roma Armee
Ebenfalls im Rahmen der Roma Biennale wurde zweimal das Stück Roma Armee aufgeführt. Es wurde nach einer Idee von Sandra und Simonida Selimović von der Regisseurin Yael Ronen mit ihnen, Mehmet Ateşçi, Hamze Bytyçi, Mihaela Dragan, Riah May Knight, Lindy Larsson und Orit Nahmias entwickelt. In einer Gegenwart, in der Europa in Neofaschismen abzudriften droht, beansprucht die Gruppe eine Roma-Armee zu Selbstverteidigungszwecken: Eine Art schneller Eingreiftruppe zur Bekämpfung von struktureller Diskriminierung, Rassismus und Antiziganismus, aber auch als Akt der Emanzipation aus einer internalisierten Opferrolle. Das Stück läuft seit September 2017 mit großem Erfolg am Gorki Theater und tourte bereits nach Rom und Wien.
Konzert: Äl Jawala
Der Romaday ist ein Tag, um den fortwährenden Kampf gegen Antiziganismus ins Gedächtnis zu rufen, aber auch um die Emanzipation Europas größter Minderheit zu feiern. Die Band Äl Jawala aus Freiburg bot dazu mit ihren Balkan Big Beats einen mitreißend-ausgelassenen und musikalisch hervorragenden Rahmen.
Performance: Hilton 437
Das Performance-Format des Kurators der Ersten Roma-Biennale im Originalmobiliar eines Wiener Hilton-Zimmers aus Wien der 1980er Jahre verbindet in einer interaktiven Talk-Show Pop, Queerness, Diskurs und Trash-TV. Hamze Bytyçi hatte zunächst Delaine Le Bas in seinem Hotelzimmer zu Gast, die in ihrem Kostüm, das kulturelle Anleihen von Kleopatra bis „White-Facing“ hatte, die weitere Show majestätisch schweigend beobachtete. Wie zufällig meldete sich aus dem Publikum Tucké Royale zu Wort und berichtete vom Zentralrat der Asozialen, der Vertretung der so im Dritten Reich bezeichneten und in der Erinnerungskultur bis heute marginalisierten Verfolgtengruppe. Der Sänger und Schauspieler Lindy Larsson aus Schweden bereicherte die Show mit seiner Bon Bon Band um einige musikalische Höhepunkte. Idil Baydar aka Jilet Ayşe kam zuletzt auf die Bühne und beanspruchte das Hotelzimmer für sich, womit sie den Einstieg fand in die Auseinandersetzung über Minderheitenkonkurrenzen und Minderheitensolidarität. Das Publikum war wie immer dazu eingeladen, per Durchwahl 437 auf der Bühne anzurufen und den Ablauf des Abends mitzugestalten.
Die Biennale soll zukünftig alle zwei Jahre auf kollaborativer Basis ausgerichtet werden und Raum für etablierte sowie bisher weniger bekannte Künstlerinnen und Künstler aus verschiedenen Roma-Communities aus ganz Europa schaffen.
Die Erste Roma-Biennale wurde durch den Hauptstadtkulturfonds gefördert und mit freundlicher Unterstützung des Collegium Hungaricum Berlin organisiert. Die Retrospektive GYPSYLAND wurde in Zusammenarbeit mit der Allianz Kulturstiftung veranstaltet.