Mehr als 100 Berliner Schüler trafen sich am Vormittag des 7. Dezember im Ort der Information mit der Holocaust-Überlebenden Ingeburg Geißler, die mit den Worten begann: »Es ist mein Anliegen, euch zu erzählen, wie es mir damals gegangen ist.«
Ingeburg Geißler wird im Juli 1932 in Erfurt, Thüringen, als Tochter eines Gärtners und einer kaufmännischen Angestellten geboren. Ihr Vater ist jüdischen Glaubens, ihre Mutter Christin, Ingeburg wird jedoch nicht religiös erzogen. Um Mutter und Kind vor Zwangsmaßnahmen der nationalsozialistischen Machthaber zu schützen, lassen sich die Eltern scheiden. 1938 wandert der Vater nach Schanghai aus. Zu dieser Zeit lebt Ingeburg bei Verwandten in der Nähe von Erfurt. Ihre Tante ermöglicht ihr trotz zunehmender Diskriminierungen einen halbwegs normalen Alltag. Doch im Januar 1945 wird Ingeburg als Zwölfjährige ohne weitere Angehörige in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Auf der Fahrt dahin schreibt sie eine Postkarte, die sie aus dem Zug wirft. Darauf steht: »Es ist alles gelogen, ich komme nicht wieder.«
Den Schülern berichtet sie, dass die anderen Menschen im Zug ihr erklärt hätten, es gehe nicht, wie von der Gestapo versprochen, in ein Umerziehungslager – sondern in die Gaskammern. »Die wussten alle mehr als ich. Für mich war Theresienstadt kein Begriff.« In Theresienstadt verbrachte Ingeburg fünf Monate ohne Familie. Keines der Familienmitglieder wusste während dieser Zeit, ob sie noch am Leben war. »Es gab kaum etwas zu Essen, keine Medikamente, es war ein sehr kalter Winter und amA Allerschlimmsten war das Ungeziefer.« Außerdem sei die Angst, ermordet zu werden, ein ständiger Begleiter gewesen.
Im Mai 1945 wird sie – als eines von etwa 100 Kindern – von der Roten Armee aus Theresienstadt befreit. Nach der Rückkehr in ihre Heimatstadt Erfurt macht sie trotz der verpassten Schuljahre mit Hilfe ihrer Mutter das Abitur, studiert später Jura und zieht nach Ostberlin.
Im Gespräch mit den Schülern – die Fragen nach Ingeburg Geißlers geistiger Heimat stellten und wie sich die Befreiung für sie angefühlt habe – berichtete die Überlebende, dass sie Heimat nur mit Angehörigen verbinde, nicht einem Land und dass der 8. Mai 1945 für sie wie ein zweiter Geburtstag sei. Abschließend rief sie die Schüler zu Wachsamkeit, Toleranz und Zivilcourage im Alltag auf.
Die Stiftung Denkmal und die Schwarzkopf-Stiftung organisieren bereits seit einigen Jahren gemeinsam erfolgreich diese Art der Begegnungen.
Für die jährliche Kampagne des WORLD JEWISH CONGRESS #WeRemember – anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktags am 27. Januar – ließen sich einige der Schüler mit Ingeburg Geißler und Mitarbeitern der Stiftung Denkmal sowie der Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa fotografieren.