Im bis auf den letzten Stuhl belegten großen Saal des Jüdischen Museums veranstaltete die Stiftung Denkmal am 11. Januar ein Zeitzeugengespräch mit dem Berliner Überlebenden Horst Selbiger, der einen Tag zuvor seinen 90. Geburtstag gefeiert hatte und aus diesem Anlass mit dem Violinenspiel eines Freundes überrascht wurde. Ebenso wie die mehr als 270 Gäste, die im Anschluss von Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, begrüßt wurden. Daraufhin hielt Petra Pau, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, ein tagespolitisch hoch aktuelles Grußwort und warnte vor rechten und populistischen Strömungen.
Im Gespräch mit der stellvertretenden Direktorin des Jüdischen Museums, Léontine Meijer-van Mensch, berichtete Horst Selbiger anschließend, wie er 1938 mit seinen Eltern aus der großen hellen Berliner Wohnung in eine winzige anderthalb Zimmer Wohnung ziehen musste. Er sprach von seiner Mutter, die trotz der zunehmenden Bedrohung und Einschüchterung durch die Nationalsozialisten zu seinem jüdischen Vater hielt, und sich entgegen aller Ratschläge nicht von der Familie trennen wollte. »Meine Mutter hat meinen Vater geliebt – sowas passiert …«
Und er berichtete von dem Tag, an dem die SS seinen Betrieb, einen Zulieferbetrieb für Rüstungsgüter, umstellte, alle auf LKW geladen und er – zusammen mit rund 2.000 Juden – in die ehemalige Synagoge an der Levetzowstraße gebracht wurde. »Es war ein sehr kalter Wintertag und ich war nur in Hemd und Hose.« Dort wurden ihnen die Transportscheine für Auschwitz umgehangen. Doch die lauten und anhaltenden Demonstrationen der Verwandten und Bekannten der Eingesperrten führten zur Entlassung einiger, auch Horst Selbiger durfte zurück zu seinen Eltern, um gleich darauf erneut zur Zwangsarbeit eingezogen zu werden. Am Ende des Abends unterhielten Léontine Meijer-van Mensch und Horst Selbiger sich über seine Zeit nach der Befreiung 1945 in der DDR und später BRD und endeten mit einem Appell an die jüngeren Generationen wachsam und entschlossen gegen jede Form von Ausgrenzung und Diskriminierung aufzustehen.