Am 27. Juni 2018 fand im Ort der Information des Denkmals für die ermordeten Juden Europas eine Podiumsdiskussion unter dem Titel »Die »vergessenen« Opfer des Nationalsozialismus – Wie erinnern?« statt. Die Zerstörung des belarussischen Ortes Chatyn vor 75 Jahren – am 22. März 1943 – nahm der Verein KONTAKTE-KOНTAKTbI e. V. zum Anlass, um das gegenwärtige Gedenken an die verschiedenen Opfergruppen zu diskutieren und zwei erinnerungspolitische Projekte genauer zu betrachten.
Dr. Svetlana Burmistr und Bozhena Kozakevych stellten das internationale Projekt »Erinnerung bewahren« (www.erinnerungbewahren.de) vor, das seit 2016 von der Stiftung Denkmal durchgeführt und vom Auswärtigen Amt gefördert wird. Am Beispiel einiger Projektorte verdeutlichten sie die Vorgehensweise und die Herausforderungen beim Schutz und der würdigen Gestaltung von vernachlässigten und vergessenen Massengräbern von Juden und Roma in der Ukraine. Eine besondere Herausforderung stellt beispielsweise die Suche nach Orten des Massenmordes an Roma dar, bedingt durch unzureichende historische Dokumente, den Mangel an Zeitzeugenaussagen und oft fehlende Informationen zur genauen Lage der Erschießungsgruben.
Florian Wieler stellte die Initiative »Gedenkort für die Opfer der NS-Lebensraumpolitik« vor. Die Initiative setzt sich seit 2013 für die Errichtung eines zentralen Gedenkortes ein, der verschiedener Opfergruppen des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges in Mittelost- und Osteuropa gedenken und über die dem Krieg zugrundeliegende nationalsozialistische Ideologie des »Lebensraums im Osten« und ihre Folgen informieren soll.
Bei der anschließenden Diskussion, die von Dr. Rosanna Dom und Ragna Vogel vom Verein KONTAKTE-KOНTAKTbI e. V. geleitet wurde, ging es um die Gründe für das Verdrängen verschiedener Opfergruppen und um die Herausforderung der Initiative »Gedenkort für die Opfer der NS-Lebensraumpolitik«, verschiedene Opfergruppen zu würdigen, ohne sie in Konkurrenz miteinander zu bringen.
Bei der Diskussion des Projektes in der Ukraine ging es darum, dass eine Erinnerung an die jüdischen Opfer des Holocaust, die auf sowjetischem Gebiet bei Massenerschießungen ermordet und in zahlreichen Massengräbern unweit ihres Zuhauses verscharrt wurden, sowohl in der Ukraine als auch in Deutschland notwendig ist. In der Ukraine gehe es nicht nur darum, Wege für den Schutz der Massengräber zu finden und ähnliche Initiativen anzuregen, sondern auch die Geschichte der vernichteten jüdischen Gemeinden vor Ort sichtbar zu machen. Auch in Deutschland fehlt es am Wissen über die Massenerschießungen von Juden, denen etwa ein Drittel aller im Holocaust ermordeten Juden zum Opfer fiel. Angesprochen wurde auch die Frage einer dauerhaften Pflege der errichteten Gedenkorte in der Zukunft und die Rolle der lokalen Gemeinden.
Ergänzt wurde die Podiumsdiskussion durch die Einlassung einer Studentin zur Bedeutung der Erinnerung an den Krieg und seine Folgen für die sogenannte vierte Generation. Eine wichtige und zusammenfassende Bemerkung am Ende der Diskussion brachte Dr. Peter Jahn, der davon sprach, dass sowohl die Erinnerung an den authentischen Orten der Gewalt als auch zentrale Orte des Gedenkens und der Information notwendig sind und keine Konkurrenz zueinander bilden.
Die Veranstaltungsreihe wurde von der Landeszentrale für politische Bildung Berlin gefördert.