von Adam Kerpel-Fronius, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Denkmal und Projektleiter der Wanderausstellung »Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung«
Jahrzehntelang erinnerten an den historischen Orten lediglich einzelne Gedenksteine an die Opfer des Vernichtungsortes Malyj Trostenez, der größten nationalsozialistischen Vernichtungsstätte auf dem Gebiet der besetzten Sowjetunion. Das änderte sich 2015, als der weißrussische Präsident Lukaschenka eine große Gedenkanlage einweihte. Anders als etwa Treblinka war Trostenez jedoch kein umzäuntes Vernichtungslager, sondern ein Komplex mit mehreren Bereichen. Einige Kilometer vom Arbeitslager bei Trostenez entfernt befand sich ab Frühjahr 1942 die eigentliche Mordstätte Blagowschtschina. In diesem Waldstück ermordeten deutsche Einheiten und ihre – oft lettischen oder ukrainischen – Helfer Zehntausende. Unter den Opfern waren etwa 15.000 Juden aus dem Deutschen Reich, aber auch sowjetische Zivilisten, Juden, politische Gegner und Partisanen. Die genaue Opferzahl lässt sich heute nicht mehr feststellen.
Trotz dieser Dimensionen war der Ort bis vor kurzem kaum in der öffentlichen Wahrnehmung präsent und auch physisch nur schwer zugänglich – Besucher mussten erst buchstäblich über Müll steigen, um an den Waldweg zu gelangen, der zur ehemaligen Mordstätte führt. Jahrelang stand dort nur ein kleiner Gedenkstein, bis 2010 der österreichische Verein IM-MER damit anfing, Gedenkreisen dorthin zu organisieren und gelbe Schilder mit Namen und Fotos von Opfern an den Bäumen zu befestigen.
Nun werden unter der Regie der Stadt Minsk länger gehegte Pläne verwirklicht und auch in Blagowschtschina eine neue Gedenkanlage gebaut. Die ursprünglichen Pläne für die Neugestaltung stammen vom berühmten belarussischen Architekten Leonid Lewin (1936–2014), der bereits zu sowjetischen Zeiten eine Reihe von damals unkonventionellen, aber umso beeindruckenderen Denkmälern entworfen hatte. Nach seinem Tod hat die Stadt seine Pläne größtenteils übernommen und um eigene Elemente ergänzt. Nun wird das Projekt, das vom Auswärtigen Amt unterstützt wird, in offenbar kurzer Frist verwirklicht. Die ersten Maschinen erschienen Anfang Herbst im Wald. Bilder zeugen seither von einem rasanten Fortschritt der Bauarbeiten. Große Teile des Waldes werden gerodet, die Waldwege vergrößert und anschließend betoniert. Dabei werden auch Reste von Massengräbern freigelegt, die bisher offenbar unentdeckt blieben. Neben Flaschen, Münzen, Patronenhülsen und persönlichen Gegenständen fördern die Geräte auch menschliche Knochen zutage. Diese Gegenstände werden von Experten gesammelt, die Bauarbeiten werden dadurch jedoch nicht unterbrochen.
Die Stiftung Denkmal hat zusammen mit der Internationalen Bildungs- und Begegnungsstätte »Johannes Rau« in Minsk und dem IBB Dortmund eine deutsch-belarussische Wanderausstellung mit dem Titel »Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung« erarbeitet, die seit Herbst 2016 in beiden Ländern in verschiedenen Städten gezeigt wird. In Zukunft könnte diese Ausstellung als Grundlage für eine Dauerausstellung am historischen Ort dienen. Trotz der gegenwärtigen Baumaßnahmen liegen konkrete Pläne für eine solche Dauerausstellung noch nicht vor. Damit sich künftige Besucher über die historische Bedeutung dieses zentralen Ortes des Holocaust und über das Schicksal der Opfer informieren können, wird sich die Stiftung weiterhin intensiv dafür einsetzen, dass eine solche Ausstellung vor Ort Wirklichkeit wird.