von Adam Kerpel-Fronius, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung
Mehr als 40.000 Bewohner des Gebiets, vor allem als »arbeitsunfähig« eingestufte Kinder, Frauen und ältere Menschen ließ die Wehrmacht hinter Stacheldraht hungern und unter freiem Himmel frieren. Ihr zynisches Kalkül: Die Rote Armee sollte auf ihrem Vormarsch durch die humanitäre Katastrophe abgelenkt, aufgehalten und ihre Soldaten mit Krankheiten wie Typhus angesteckt werden.
Als die Rote Armee am 19. März 1944 die Lager erreichte, fand sie ein Inferno vor: Über 9.000 Gefangene starben aufgrund der katastrophalen Bedingungen, die Überlebenden – darunter mehr als 15.000 Kinder unter 13 Jahren – waren größtenteils krank, halb verhungert und schwer traumatisiert. Sowjetische Armeefotografen machten dramatische Aufnahmen, die schon bald um die Welt gingen und sich tief in das kulturelle Gedächtnis Weißrusslands einprägten.
Dennoch hat es Jahrzehnte, bis zur Unabhängigkeit des Landes, gedauert, bis die Überlebenden Gehör fanden und ihre persönlichen Geschichten erzählen konnten, und ein angemessenes Denkmal errichtet werden konnte. 2004 wurde im Dorf Osaritschi ein kleines Museum zum Thema eingerichtet.
Die Gedenkveranstaltungen rund um den Jahrestag wurden in Weißrussland medial stark begleitet. In der futuristisch anmutenden Nationalbibliothek wurde die von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas mitgestaltete Wanderausstellung »Vernichtungsort Malyj Trostenez – Geschichte und Erinnerung« erneut ausgestellt und um ein neues Modul zu Osaritschi ergänzt. Dieses beinhaltet eine Darstellung der historischen Ereignisse sowie zwei Stelen mit persönlichen Schicksalen der Überlebenden Walentina Schischlo (*1936) und Arkadij Schkuran (*1934). Beide waren bei der Gedenkfeier anwesend, letzterer hat bei Gelegenheit sein neues Buch zur Tragödie von Osaritschi vorgestellt. Von deutscher Seite hielt Botschafter Peter Dettmar eine emotionale Rede, gefolgt von einer historischen Einordnung durch den Historiker Christoph Rass (Universität Osnabrück) und einem Vortrag von mir zum Thema »Weißrussland und Osaritschi in der deutschen Erinnerungskultur«.
Am 19. März fanden Gedenkveranstaltungen am historischen Ort statt. Über 200 Überlebende fanden sich ein, viele der betagten Zeitzeugen ergriffen das Wort, um über ihre Erlebnisse zu berichten oder ihrer toten Angehörigen zu gedenken, einige in Form von selbstverfassten Gedichten. Das weißrussische Fernsehen berichtete ausführlich und zeigte am Abend einen Dokumentarfilm zu den Sterbelagern.