Eine unvorstellbar große Zahl von Künstlern, Schriftstellern, Komponisten, Theaterleuten, aber auch Ärzten, Anwälten und Lehrern, die Anfang der 1930er Jahre das urbane Leben Berlins geprägt hatten, fielen der Ausgrenzung und Verfolgung durch die Nationalsozialisten zum Opfer. In über 120 Projekten, verteilt über das ganze Jahr, wird dieser Frauen und Männer, aber auch Kinder, gedacht. Das vom Land Berlin initiierte Themenjahr, das gleichfalls an die Novemberpogrome 1938 vor 75 Jahren erinnert, wird von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas mit eigenen Beiträgen unterstützt.
Ein wichtiger Teil des Projektjahres ist unter anderem eine über die ganze Stadt verteilte Freiluftausstellung, die 200 Portraits einzelner Menschen zeigt, die Opfer von Ausgrenzung, Verfolgung, Vertreibung und Ermordung durch die Nationalsozialisten wurden. Die Ausstellung wurde am 30. Januar 2013 von Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit auf dem Pariser Platz eröffnet – genau an dem Tag, an dem die Nationalsozialisten vor 80 Jahren die Macht in Deutschland übernahmen und mit Fackeln durch das Brandenburger Tor und die Wilhelmstraße marschierten. Übergroße Litfaßsäulen mit Namen und Gesichtern verfolgter Frauen, Männer und Kinder zeigen auch bekannte Persönlichkeiten wie Albert Einstein und Berthold Brecht, die meisten sind bis heute aber eher unbekannt.
Viele Institutionen und Vereine haben die Idee dieser in Berlin einmaligen Ausstellung aufgegriffen. Die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas selbst hat drei Säulen mit insgesamt neun Porträts gestaltet. Gezeigt werden Personen, die eng mit der Arbeit der Stiftung verbunden sind: Werner, Erwin Keferstein, Erna Lauenburger, Israel Löwenstein, Regina Steinitz, Walter Frankenstein, Cora Berliner, Gertrud Kolmar und Hannah Arendt.
Werner (*1921 – 1942)
Werner aus dem Wedding war verliebt – in seine Nachbarin Dorothea. Aber er war jüdisch. Nach der Verabschiedung der Nürnberger »Rassengesetze« im Herbst 1935 war eine Beziehung zwischen Juden und »Ariern« strengstens verboten. Die Beiden waren vorsichtig, doch sie wurden verraten. Der Vorwurf: »Rassenschande«! Werner saß 18 Monate in einem Gefängnis Berlin-Tegel, dann in »Schutzhaft« im KZ Sachsenhausen. Er überlebte das Lager nicht.
(Biographie von der Jugendwebseite »Du bist anders?«, mehr Information über Werner unter: http://dubistanders.de/Werner)
Erwin Keferstein (*1915 – 1943)
Erwin war schwul und träumte von einer Karriere als Modezeichner. Er zog 1933 nach Berlin – die deutsche Hauptstadt, die Künstler und kreative Menschen damals genau wie heute magisch anzog. Er genoss das Leben, bis er bei einer Razzia in einem Szenelokal Ende 1934 verhaftet wurde. Wegen gleichgeschlechtlicher Liebe landete Erwin unter anderem im KZ Columbia-Haus in Tempelhof. Er entkam weiterer Verfolgung, als er 1942 in die Wehrmacht eingezogen wurde. Erwin fiel Ende 1943 vor Leningrad.
(Biographie von der Jugendwebseite »Du bist anders?«, mehr Information über Erwin Kieferstein unter: http://dubistanders.de/Erwin-Keferstein)
Erna Lauenburger (*1920 – 1943)
Fast jedes Kind in der DDR kannte das Buch »Ede und Unku« aus der Schule. Die beiden Romanfiguren, die im Berliner Wedding Abenteuer erlebten, gab es tatsächlich. Erna, genannt Unku, und Ede hatten in der Nachbarschaft der Schriftstellerin Alex Wedding (1905–1966) gewohnt. Nach 1933 wurde Erna als »Zigeunerin« verfolgt und 1943 in Auschwitz ermordet. Nach dem Krieg interessierte sich für ihr Schicksal jedoch kaum jemand. Der Kinderbuchstar geriet in Vergessenheit!
(Biographie von der Jugendwebseite »Du bist anders?«, mehr Information über Erna Lauenburger unter: http://dubistanders.de/Erna-Lauenburger)
Israel Löwenstein, geb. 1925 als Jürgen Rolf Sochaczewer in Berlin-Mitte
»Ich ging durch die Münzstraße und bei den jüdischen Geschäften waren die Fensterscheiben kaputt geschlagen. Die Leute haben davor gestanden oder geklaut, was nur möglich war. Und die Polizei stand dabei, hat gelächelt und ist nicht eingeschritten.«
(»Sprechen trotz allem« – Videoarchiv am Holocaust-Denkmal, interviewt in Yad Hana/Israel, August 2010)
Regina Steinitz, geb. 1930 als Regina Anders in Berlin-Mitte
»Ich werde das letzte Channuka-Fest 1941 im jüdischen Kinderheim in der Fehrbellinerstraße 92 nie vergessen. Alle waren glücklich, aber für die Kinder gab es 1942 kein Channuka-Fest mehr. Sie wurden alle samt ihren Betreuerinnen ermordet.«
(»Sprechen trotz allem« – Videoarchiv am Holocaust-Denkmal, interviewt in Berlin und Tel Aviv, 2011)
Walter Frankenstein, geb. 1924 in Flatow/Westpreußen
»Im Auerbach’schen Waisenhaus an der Schönhauser Allee war ich seit 1936. Dort lernten meine Frau und ich uns kennen. Diese Liebe, die da begann, hielt 68 Jahre. Leider kann sie heute nicht mehr hier sein, deswegen spreche ich auch für sie.«
(»Sprechen trotz allem« – Videoarchiv am Holocaust-Denkmal, interviewt in Berlin, 2009)
Cora Berliner (*1890 in Hannover) – Wirtschaftsprofessorin, eine der ersten deutschen Frauen in einer Behördenleitung
Nach der Entlassung durch die Nationalsozialisten arbeitet sie für die Reichsvertretung der deutschen Juden. Im Juni 1942 wird sie nach Minsk deportiert und im Lager Malyj Trostenez erschossen. Auf Initiative der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas steht seit 2009 in Minsk ein Gedenkstein für verschleppten jüdischen Kinder, Frauen und Männer aus Berlin.(Namensgeberin der Postadresse des Holocaust-Denkmals)
Gertrud Kolmar (*1894 in Berlin) – eine der bedeutendsten jüdischen Lyrikerinnen deutscher Sprache.
Die in Finkenkrug bei Berlin lebende Autorin tritt zunächst selten an die Öffentlichkeit. Nach 1933 wird sie in der bedrängten jüdischen Gemeinde jedoch immer bekannter. Ab 1941 muss sie Zwangsarbeit in der Berliner Industrie leisten. Am 27. Februar 1943 deportiert die SS Kolmar in das Vernichtungslager Auschwitz. Ihr genaues Todesdatum ist unbekannt.
(Namensgeberin einer Straße nahe dem Holocaust-Denkmal)
Hannah Arendt (*1906 in Hannover) – Philosophin und Politikwissenschaftlerin
Aufgewachsen in Königsberg (Pr.), studiert sie in Berlin, Heidelberg und Freiburg. 1933 emigriert Arendt nach Frankreich, wo sie 1940 aus dem Lager Gurs vor deutscher Verfolgung fliehen kann. Seit 1941 lebt sie in den USA und prägt die Auseinandersetzung mit den totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts. Sie stirbt 1975 in New York.
(Namensgeberin einer Straße am Holocaust-Denkmal)
Aufgestellt sind die rot-leuchtenden Litfaßsäulen rund um das Stelenfeld zwischen Ebert-und Cora-Berliner-Straße.