Vom 13. bis 28. November 2013 war das Team des Videoarchivs erneut in Israel, um die letzten Interviews für das laufende Projekt »Sprechen trotz allem«, das durch die Kulturstiftung des Bundes unterstützt wird, durchzuführen.
Zunächst haben wir in Yad Hana die 91-jährige Pnina Feiler getroffen. Pnina stammt aus Lodz und wanderte bereits 1938 nach Palästina aus. Sie wurde Mitglied in einer kommunistischen Jugendbewegung, in der sie auch ihren späteren Ehemann kennenlernte. Kurzzeitig studierte sie Medizin in Beirut, kehrte jedoch zur Teilnahme am Unabhängigkeitskrieg 1948 nach Israel zurück. Aufgrund ihres Studiums wurde sie als Krankenschwester eingesetzt. Die frühen Jahre in Europa und das, was sie während des Krieges gesehen hat, machten aus ihr eine überzeugte Pazifistin. Bis heute fährt sie einmal pro Woche in das Westjordanland, um dort mit der Organisation »Physicians for Human Rights« Palästinensern medizinische Hilfe zu geben.
Zum ersten Mal haben wir von Gabriel Holzer gehört, als die Stiftung Denkmal vor zwei Jahren einen Dokumentarfilm über das jüdische Breslau vorgestellt hat. Der gebürtige Leipziger, der Anfang der 1930er Jahre nach Breslau zog, berichtet darin mit zwei weiteren Zeitzeugen von seinen Erfahrungen. Im Interview schilderte uns Gabriel Holzer, wie er als religiös erzogener Junge den Aufstieg des Nationalsozialismus erlebte. Nachdem seine Familie im Oktober 1938 zunächst verhaftet und an die polnische Grenze gebracht wurde und er selbst mehrere Wochen von seinen Eltern getrennt war, schafften die Holzers es schließlich 1939, über die Schweiz nach Palästina zu fliehen. Dort war Gabriel ab Mitte der 1940er Jahre für lange Zeit beim Zoll tätig, ein Beruf, der ihn sehr ausfüllte und ihn auf besondere Weise mit den Problemen des neu gegründeten Staates Israel konfrontierte. Ausführlich berichtete er beispielsweise von der tiefen Freundschaft zu einem arabischen Kollegen und den damit verbundenen Problemen.
Der 1928 in Krakau geborene Naftali Arjan erzählte in seinem lebensgeschichtlichen Interview von seiner Verfolgung, die ihn durch die Lager Skala, Slomnik, das Julag I und Plaszow schließlich nach Auschwitz führte. Seine Mutter und seine Schwestern wurden im Vernichtungslager Belzec ermordet. Naftali selbst musste ab 1944 in Gleiwitz Zwangsarbeit verrichten und wurde im Januar 1945 auf einen Todesmarsch nach Groß-Rosen geschickt. Auf offenen Viehwaggons gelangte er schließlich nach Buchenwald, wo er im April 1945 befreit wurde. Der Unterschied zwischen den Schilderungen äußerster Gewalt, die Naftali in der Vergangenheit erleiden musste, und der überaus herzlichen Aufnahme unseres Teams bei ihm und seiner Ehefrau in der Gegenwart, wurde uns bei diesem Interview erneut sehr deutlich.
Samuel Givoni lebt mit seiner Frau im Norden Israels, unweit der Grenze zum Libanon. Der gebürtige Pressburger war 19 Jahre alt, als er sich dazu entschied, Schutz vor den deutschen Besatzern der Stadt im Untergrund zu finden. Fast drei Jahre schaffte er es, auf diese Weise zu überleben, bis er im Winter 1944/1945 von einem ehemaligen Lehrer seiner Schwester verhört und im Konzentrationslager Sered inhaftiert wurde. Nach den Bombenangriffen auf die Stadt musste er zwangsweise bei Aufräumarbeiten helfen und wurde noch im Frühjahr 1945 – zu einem Zeitpunkt, als Auschwitz bereits befreit war – nach Theresienstadt deportiert. Er schaffte es jedoch, von dem Transport zu fliehen, kehrte zu Fuß nach Pressburg zurück und erlebte dort das Kriegsende. Der Kibbuz Shomrat, wo er bis heute mit seiner Ehefrau lebt, war einer der ersten Kibbuzim, die nach dem Unabhängigkeitskrieg entstanden sind. Samuel Givoni war einer der Gründer.
Tova Aran, 1934 in Krakau geboren, berichtete uns davon, wie sie als Fünfjährige kurz nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polen zusammen mit ihren Eltern nach Przemysl floh, von dort jedoch durch die russischen Besatzer nach Lemberg deportiert wurde. Die Familie wurde dann nach Sibirien verschleppt und musste schließlich Zwangsarbeit in Usbekistan verrichten. Bis 1946 mussten sie in Buchara leben und konnten erst dann nach Krakau zurückkehren. Durch falsche Papiere schafften sie es, 1947 nach Palästina zu gelangen, wo Tova Aran trotz ihrer angeborenen Lese- und Rechtschreibschwäche mehrere, sehr erfolgreiche Kochbücher mit traditionellen jüdischen Rezepten veröffentlichte.
Simcha Malin wurde 1924 in Lodz geboren. Die Familie wanderte kurz nach seiner Geburt nach Palästina aus; der Vater konnte seine Arbeit in der Landwirtschaft aufgrund des Ausbruchs der Maul- und Klauenseuche jedoch nicht lange halten, so dass sie 1929 in die Nähe von Lodz zurückkehrten. 1940 mussten sie ins Ghetto ziehen. Simcha verrichtete fast vier Jahre Zwangsarbeit, sein Vater starb an Tuberkulose, Mutter und Schwester wurden in Auschwitz und Bergen-Belsen ermordet. Er selbst wurde schließlich von Auschwitz nach Utting am Ammersee deportiert, einem Außenkommando des Konzentrationslagers Dachau. Nach der Befreiung ging er in Fulda auf Hachschara, wanderte nach Israel aus und lebte im Kibbuz Buchenwald (heute Kibbuz Netzer Sereni). Bei Martin Buber und Gerschom Scholem lernte er Hebräisch, unterrichtete die Sprache an der Universität und lebt mit seiner aus Berlin stammenden Frau heute in Tel Aviv.
Fast 15 Stunden Interviews konnten wir für das Videoarchiv im Ort der Information nach Berlin bringen und danken allen Interviewpartnern für das Vertrauen und die überaus freundliche Aufnahme.
Lennart Bohne, Martin Hölzl, Daniel Hübner, Christoph Schönborn und Daniel Baranowski