Vom 8. bis 22. März 2013 nahm das Team des Interviewprojektes in Israel fünf weitere, jeweils ungefähr dreistündige lebensgeschichtliche Interviews für das Videoarchiv »Sprechen trotz allem« am Holocaust-Denkmal auf.
Kurz vor ihrem 90. Geburtstag erzählte uns Margit Bartfeld-Feller, die heute in Tel Aviv lebt, ausführlich über ihre Kindheit und Jugend im damals rumänischen Czernowitz. Noch im Juni 1941 wurde sie – als späte Folge des Hitler-Stalin-Paktes und der damit verbundenen Besetzung ihrer Heimatstadt durch die Sowjetunion – in das mehrere tausend Kilometer entfernte Arbeitslager Krassnojarka am Fluss Wassjugan in Sibirien deportiert. In diesem, im Jargon der Gefangenen »Todesnest« genannten Lager starb ihr Vater an Hunger. Margit Bartfeld-Feller siedelte Ende der 1940er Jahre nach Nowo-Wassjugan über, gebar eine Tochter und lebte schließlich bis 1990 in Tomsk, wo sie als Musiklehrerin in einem Kinderheim arbeitete. Nach ihrer Auswanderung nach Israel begann sie, in bis heute zehn autobiographischen Büchern über ihre Heimat und ihre Verfolgung zu schreiben. Jeden Morgen, erzählte sie uns, wache sie auf und blicke auf die zwei Fotos, die in ihrem Schrank stehen: eines von ihr und eines von Selma Meerbaum-Eisinger, ihrer Klassenkameradin, die durch ihre Gedichte Berühmtheit erlangt hat und von den Nationalsozialisten ermordet wurde (https://dubistanders.de/Selma-Meerbaum-Eisinger) – zwei Lebensgeschichten, die am gleichen Ort begannen und jede für sich von Vertreibung und Mord im 20. Jahrhundert erzählen.
Zwi Harry Likwornik stammt ebenfalls aus Czernowitz. Der 79-Jährige leitete sein Interview mit einigen Gedanken darüber ein, welche zweifelhafte Ehre ihm zuteil wird, als »Überlebender« zu berichten. Gerne hätte er auf die Erfahrungen und Erlebnisse in seiner Jugend verzichtet: Er wurde in Viehwaggons und zu Fuß bei Minustemperaturen von mehr als 30 Grad als Siebenjähriger nach Transnistrien in das Ghetto Berschad deportiert. In dem heute immer noch recht wenig bekannten Ghetto herrschten katastrophale Zustände, die dazu führten, dass sein Vater der Witterung schutzlos ausgesetzt neben ihm liegend erfror. Zwi Harry Likwornik überlebte mehr als zwei Jahre in Berschad, kehrte mit Mutter und Bruder zu Fuß nach Czernowitz zurück und wanderte Ende 1947 in Richtung Palästina aus. Zunächst im Internierungslager Famagusta auf Zypern untergebracht, erreichte er Israel schließlich im Juni 1948 und lebt heute mit seiner Frau Ruth und einer großen Familie in Cholon.
Seit 1949 lebt Shlomo Wolkowicz, der im Januar 2014 ebenfalls seinen 90. Geburtstag feiert, in Haifa. Er wurde in Jagielnica, einer Kleinstadt in Ostgalizien geboren und zog zum Besuch des Gymnasiums nach Lemberg. Nach der Besetzung der Stadt flüchtete er ins nahe gelegene Zloczow. Am 4. Juli 1941 wurde er dort jedoch verhaftet und gezwungen, bei der Aushebung eines kurz zuvor angelegten Massengrabes zu helfen. Am Abend des Tages wurde die männliche jüdische Bevölkerung durch Maschinengewehrfeuer ermordet. Shlomo Wolkowicz wurde nicht tödlich getroffen und versteckte sich bis zum Einbruch der Dunkelheit unter den Leichen. Schwer verletzt floh er anschließend, wurde erneut verhaftet, schaffte es, aus einem Gefängnis auszubrechen und verbrachte den Rest des Krieges unter dem Schutz eines Deutschen, der später als »Gerechter unter den Völkern« ausgezeichnet wurde. Shlomo Wolkowicz erzählte uns sehr genau von den Ereignissen des 4. Juli 1941, jenem Tag, von dem er, wie er sagte, »bis heute nicht zurück gekehrt ist«.
Mit dem Ehepaar Livni, beide 1926 geboren, führten wir abschließend Interviews in Kirjat Tivon, im Nordosten Israels. Chava Livni stammt aus Pressburg, war schon früh Mitglied der zionistischen Jugendbewegung Hashomer Hatzair und ging noch 1941 auf Hachschara, um sich auf ein Leben in Palästina vorzubereiten. Seit 1942 half sie slowakischen Jüdinnen und Juden, indem sie illegal falsche Papiere ausfertigte und damit vielen die Ausreise ermöglichte. Nach dem Slowakischen Nationalaufstand wurde sie über das Sammellager Sered nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo ihre Eltern ermordet wurden. Schließlich musste sie Zwangsarbeit in einem Außenlager des Konzentrationslagers Flossenbürg verrichten und wurde in Mauthausen befreit. Kurz nach dem Krieg lernte sie den aus Prag stammenden Max Lieben kennen. Er stammte aus einer streng orthodoxen Familie und wurde mit seinen Eltern 1943 zunächst in das Ghettolager Theresienstadt deportiert. Über Auschwitz-Birkenau wurde er schließlich in den Lagerkomplex Kaufering in Süddeutschland gebracht, wo er von der Ermordung der Eltern in Auschwitz erfuhr. Noch Ende April 1945 wurde er auf einen Todesmarsch getrieben und völlig entkräftet bei Allach befreit. Nach dem Krieg arbeitete er kurzzeitig als Erzieher. Das Ehepaar wanderte nach der Heirat nach Israel aus.
Abschließend haben wir in Aschkelon Eva Erben getroffen. Die Stiftung besorgt zur Zeit eine Übersetzung ihrer erweiterten Autobiographie und bereitet die Publikation für Anfang 2014 vor. Eva Erben stellte uns zahlreiche Aufnahmen aus ihren Fotoalben zur Verfügung, die im Buch Verwendung finden werden.
Lennart Bohne, Daniel Hübner und Daniel Baranowski